Was haben eine Fabrik, ein Gasthaus in Slowenien, die Sponheimerstraße in Klagenfurt und ein Wörtherseeurlauber aus Deutschland gemeinsam? Sie waren Mitte der 1950er die Geburtshelfer einer völlig neuen Musikrichtung, die die Melodie des Alpe-Adria-Raums bis heute in die Welt trägt: die Oberkrainermusik.
1954 komponierte Slavko Avsenik, gemeinsam mit seinem Bruder Vilko, die Polka „Na Golici“ (Auf dem Narzissenberg). Slavko musste zuvor seine Skispringerkarriere im jugoslawischen Nationalteam an den Nagel hängen, nachdem er auf der Sattnitzschanze in Klagenfurt gestürzt war. Das Familiengeschäft, das Gasthaus Avsenik vulgo „Pri Jožovcu“ in Begunje, damals in vierter Generation, wollte er nicht übernehmen. Studieren lag ihm nicht, also begann er, in einer Fabrik zu arbeiten. Dort fand er seine Berufung.
Ein Tonband aus Klagenfurt ging um die Welt
„Nicht in der monotonen Fabriksarbeit, aber im Klang der Maschinen, aus ihnen hörte er den Takt heraus, mit dem er einen völlig neuen Sound in die volkstümliche Musik bringen sollte“, erzählt Sašo Avsenik, musikalischer Erbe seines Großvaters. Der Siegeszug um die Welt wurde 1955 in der Sponheimerstraße in Klagenfurt gestartet. Im Tonstudio des ORF Landesstudios Kärnten nahm Slavko mit dem „Gorenjski Kvintet“ „Na Golici“ auf, dort wurde die Polka zum „Trompetenecho“. „Das war damals eine geniale Idee des Tontechnikers. Mit dem Echo wurde für die Hörer ein akustischer Bogen vom Narzissenberg bis ins Tal zu den Kirchenglocken Begunjes gezogen“, sagt Radio- und Fernsehmoderator Arnulf Prasch.
Ein Wörtherseeurlauber aus Deutschland hörte es im Radio Kärnten und war sofort begeistert. Der Hörfunkmoderator des Bayerischen Rundfunks, Fred Rauch, stürmte das Landesstudio in Klagenfurt, schnappte sich das Tonband und brachte das Trompetenecho nach Deutschland. Auf seinen Vorschlag hin wurde das „Gorenjski Kvintet“ in „Oberkrainer“ umbenannt. Der Beginn des internationalen Durchbruchs mit mehr als 30 Millionen verkauften Tonträgern, Platin, Gold und sogar Einträgen ins Guinness-Buch der Rekorde.
Filmisches Denkmal
Seinen Anteil an der Erfolgsgeschichte feiert der ORF nun mit einer Dokumentation. „Ich ging mit der Idee zu Karin Bernhard“, erzählt Prasch bei der Vorpremiere am Mittwoch im Gasthaus Avsenik. Die Landesdirektorin - „Ich habe die Oberkrainermusik mit der Muttermilch aufgesogen, meine Mutter ist Slowenin und ein großer Fan von Slavko Avsenik.“ - hatte nur eine Bedingung: „Findet die Tonaufnahme von 1955.“
Das Tonband mit der Nummer „19 S“ - das „S“ stand für die slowenische Redaktion des ORF - wurde aus den Archiven des ORF ausgegraben und die Arbeit konnte beginnen. Im Rahmen der Sendereihe „Erlebnis Österreich“ wird „70 Jahre Trompetenecho - Kärnten und die Oberkrainermusik“ am Sonntag um 16.30 Uhr ausgestrahlt.
„Die Dokumentation zeigt, wie lebendig und grenzenlos die Oberkrainermusik bis heute in Kärnten spürbar ist und Menschen über Generationen hinweg miteinander verbindet“, sagt Prasch, der die Zuseher auf einer Reise von Begunje über das Rosental bis ins Lesachtal mitnimmt. „Klagenfurt war für Slavko immer schicksalhaft. Hier stürzte er mit den Ski zu Boden und ging mit Gipsfuß heim, bevor er mit dem Akkordeon zurückkam und wieder aufstieg“, sagt Enkel Sašo. Der meint, ohne die Unterstützung aus Kärnten wäre die Oberkrainermusik wohl nicht um die Welt gegangen: „Im jugoslawischen Rundfunk galt Volksmusik als Bauernmusik, man wollte sie damals nicht spielen.“ Im Rosental hatten Slavko Avsenik und seine Oberkrainer dann auch ihren ersten großen Liveauftritt auf der Bühne, auch darüber berichten Zeitzeugen in der Doku.
Das „Graceland“ der Volksmusik
Der Ort der Vorpremiere, das Gasthaus Avsenik - seit fünf Jahren in siebenter Generation von Aleš, Sašos Bruder, geführt - ist heute ein Pilgerort. Für ein normales Landgasthaus wäre es für die weniger als tausend Einwohner in Begunje überdimensioniert. Aber das ist es eben nicht, es ist vielmehr so etwas wie Elvis Presleys „Graceland“ in Memphis. Busweise kommen die Fans aus aller Welt, um die Oberkrainermusik und Slavko Avsenik zu feiern. „Mein Bruder geht in die Welt und spielt die Oberkrainermusik und ich warte hier auf die Fans, um sie zu empfangen. So bleibt das Erbe unseres Opas noch lange lebendig und in Erinnerung“, sagt Aleš Avsenik. „Und auch die achte Generation übt schon an den Instrumenten“, wirft Sašo mit stolzem Lächeln ein.