„In meinen besten Jahren kam ich auf 180 Skitage. Da sagten alle: Der ist ja verrückt. Aber: Der Verrückte lebt noch - und die anderen nicht mehr.“ Das Lachen, das Gottfried Bistumer nachlegt, ist nicht nur herzlich, es lässt auch aufblitzen, was da jemand erlebt hat. Manchmal auch: Überlebt hat. Nun mit 100 Jahren ist Bistumer der älteste Skifahrer Österreichs. Das sagt nicht er selbst, sondern Dieter Mörtl, der Präsident des Kärntner Skiverbands. Amtlich ist der Titel zwar nicht, „aber mir hat noch nie jemand aus den Skiverbänden von einem älteren Skifahrer erzählt. Und über solche Leute wie den Gottfried spricht man.“

Mit 100 Jahren auf Skiern unterwegs

Die Vorfreude, wenn es Richtung Piste geht, die merkt man bei Bistumer auch während der Gondelbahn in St. Oswald. „Vor 96 Jahren hab ich angefangen“, erzählt er aus einer längst vergangenen Zeit. Der Großvater hat ihm aus Fassdauben - also den Brettern von Holzfässern - die ersten Ski gebaut. Die Stöcke bestanden aus Haselruten. „Man musste sich daran gewöhnen, aber dann ging es.“ Gefahren wurde auf jedem Hügel den es irgendwo in der Nähe von Villach gab. „Weil eigentlich bin ich ja ein Stadtkind, aufgewachsen in der Trattengasse.“ Die Winter seien damals ganz andere gewesen, sogar die Drau fror ab und an so zu, dass sich die einzelnen Schollen verbanden und man von der einen auf die andere Uferseite wechseln konnte.

„Und jetzt?“ Bistumer blickt aus der Gondel hinaus. Es ist vier Tage vor Weihnachten, abseits des weißen Bandes, das sich vom Berg zieht, ist die Landschaft braun-grün. „Wenn man ein wenig in der Natur unterwegs ist, merkt man schon, was sich verändert. Wie die Pflanzen früher zu treiben beginnen.“

Führerschein und Autoschlüssel habe er mittlerweile abgegeben sagt Bistumer
Führerschein und Autoschlüssel habe er mittlerweile abgegeben sagt Bistumer © Cik

Wenn Bistumer dann aber Schnee unter den Schuhen hat, ist aller Wehmut verflogen. Erst wird die Brille am Helm gerichtet, dann springt er kraftvoll in die Bindung, taucht an und zieht in weiten Schwüngen hinunter in das Tal. „Früher, da war das noch ein Miteinander auf den Pisten. Jetzt ziehen die Leute wild an einem vorbei. Aber mittlerweile hab ich auch gemerkt, dass man sicherer ist, wenn man schneller fährt, da mache ich das eben auch.“ Wenn es ihn in der Kurve einmal auf den Rücken setzt und den Begleitern der Atem stockt, wiegelt Bistumer mit der Hand ab. „Ich hab harte Knochen, mir passiert nix.“ Einmal sei er vom Apfelbaum gefallen, da habe er sich ein Bein gebrochen. Ein anderes Mal ist er auf der Gerlitzen 15 Meter über eine Kante in die Tiefe gefallen. „Da war ein bisserl was. Aber aufgehört hätte ich deswegen nie.“

Selbst in jenen Jahren, in denen er als Wehrmachtssoldat an der Ostfront war, gingen sich ein paar Abfahrten aus. „Zu Beginn war ich kriegsbegeistert. Aber dann, wenn die ersten Kumpel fallen, da ändert sich der Blick auf das Ganze.“ Man sei vor Moskau gestanden, „wir haben in die Stadt hinein gesehen.“ Kurz verweilen die Gedanken im Krieg - um dann wieder zurück auf die Piste zu kommen. „Am schönsten war es immer, wenn ich mit meinen Töchtern unterwegs war.“ Vier waren es, zwei sind schon verstorben. „Meine Frau hat uns die gleichen Pullover gestrickt, wir sind dann wie ein Team unterwegs gewesen“, lacht Bistumer. Acht Jahre ist es nun her, seit seine Frau gestorben sei. „Aber wir hatten 65 wunderbare Jahre zusammen.“

Den Skipass gibt es seit dem 90er gratis

Den Pullover, den hätte er sicher noch irgendwo. Aber mittlerweile fahre er lieber in einem blauen Overall. „Den hab ich auch immer bei den Masters-Rennen getragen und der hält im Rücken fein warm.“ Über 30 Jahre fuhr er Rennen, war oft vorne dabei. „Da lernt man auch das ganze Land kennen.“ Den Kärnten-Skipass hätte er deswegen immer schon gehabt. „Und zum 90er war dann Wolfgang Löscher, der Sprecher der Bergbahnen leichtsinnig und sagte mir: So lange ich den Skipass selbst abholen kann, bekomme ich ihn gratis. Und das Versprechen hält nun schon seit zehn Jahren.“ Die Gerlitzen, die Turrach, Bad Kleinkirchheim oder am Katschberg - eigentlich sei er auf so gut wie allen Pisten Oberkärntens unterwegs. „Es muss mich halt nur wer fahren.“ Denn Führerschein und Autoschlüssel hat er mit 99 Jahren dann doch abgegeben.

Auf bis zu 180 Skitage pro Jahr kam Bistumer in seiner besten Zeit
Auf bis zu 180 Skitage pro Jahr kam Bistumer in seiner besten Zeit © Cik

Die spannendste Zeit in 96 Jahren Ski-Karriere seien aber ohnehin die 1960er gewesen. „Da wurden die ersten Liftanlagen gebaut“, erzählt Bistumer. Von Radenthein aus, wo er als Reparaturschlosser im RHI Werk gearbeitet hat, war es nur ein kurzer Weg hinauf nach Bad Kleinkirchheim. „Eine Pistenpräparierung gab es damals noch nicht. Da spürte man noch richtig den Unterschied im Schnee.“ Nach zwei Stunden wird abgeschwungen. Die vorläufige Bilanz: „180 Skitage werden es heuer nicht. Aber immerhin fünf sind es jetzt schon.“