Indien steuert rasant auf die Schwelle von 20 Millionen Corona-Ansteckungen zu. Das Gesundheitsministerium meldete am Montag 368.147 Neuinfektionen und damit den zwölften Tag in Folge mehr als 300.000 neue Fälle binnen 24 Stunden. Am Samstag war sogar erstmals mit mehr als 400.000 Neuinfektionen erneut ein weltweiter Höchstwert registriert worden. Damit stieg die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen in dem Land mit rund 1,35 Milliarden Einwohnern auf 19,93 Millionen.

Das sind weltweit die zweitmeisten Infektionen nach den USA. Die Zahl der Todesfälle erhöhte sich um 3.417 auf 218.959. Nur die USA und Brasilien weisen mehr auf. Experten befürchten aber bei Infektionen und Todesfällen eine hohe Dunkelziffer.

Das Gesundheitssystem in dem südasiatischen Land mit seinen mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern ist überfordert, Krankenhäuser und Krematorien sind überfüllt, es mangelt an medizinischem Sauerstoff, Medikamenten und Impfstoff. Indien wird seit Ende Februar von einer zweiten Coronawelle mit mehreren Virusvarianten heimgesucht.

Weltweite Anteilnahme und Besorgnis

Dies hat auch weltweit große Anteilnahme und Besorgnis ausgelöst. Auch Österreich beteiligt sich mit zwei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds an der Hilfe für das asiatische Land, das dringend Beatmungsgeräte und Sauerstoff benötigt. Zugleich wurden die Einreisebestimmungen verschärft. Am Montag tritt in Österreich eine weitere Verschärfung in Kraft. Bei der Einreise aus Indien und dem späteren "Freitesten" werden nur noch PCR-Testergebnisse akzeptiert, keine Schnelltests mehr.

Im Jänner hatte Indien seine Impfkampagne gestartet. Nach einem Plan der Regierung dürfen sich seit Samstag nun alle Erwachsenen gegen das Coronavirus impfen lassen. Mehrere Bundesstaaten berichteten aber, dass ihnen die Impfdosen ausgingen oder bereits ausgegangen seien. Am Samstag erhielten landesweit 1,6 Millionen Menschen in staatlichen Impfzentren oder Krankenhäusern eine Impfung. Bis Freitag hatten nur die über 45-Jährigen Anspruch auf eine Impfung. Rund zehn Prozent von ihnen erhielten den Angaben zufolge bisher mindestens eine Dosis.

215.542 offizielle Coronatote

Premierminister Narendra Modi traf am Sonntag Regierungsbeamte und Experten, um über den beispiellosen Anstieg der Coronafälle und den Bedarf an medizinischem Sauerstoff und Medikamenten zu beraten. Seit Beginn der Pandemie haben sich in Indien rund 19,5 Millionen Menschen angesteckt, 215.542 sind gestorben. Am Sonntag meldeten die Behörden 392.488 Neuinfektionen binnen eines Tages. Beobachter befürchten eine hohe Dunkelziffer. Mehrere Länder, darunter Deutschland, die USA, Großbritannien und Japan, haben Indien Unterstützung zugesagt.

Großbritannien schickt weitere Beatmungsgeräte

Großbritannien kündigte am Sonntag an, weitere 1000 Beatmungsgeräte nach Indien zu schicken. "Wir müssen alle zusammenarbeiten, um Covid-19 zu bekämpfen. Niemand ist sicher, bis wir alle sicher sind", sagte Außenminister Dominic Raab. Zuvor hatte Großbritannien bereits 200 Beatmungsgeräte, knapp 500 Sauerstoffkonzentratoren und drei Sauerstoffgeneratoren nach Indien geschickt.

Am Samstagabend erreichte eine Maschine der deutschen Luftwaffe die Hauptstadt Neu-Delhi mit 120 Beatmungsgeräten. An Bord der Maschine, mit der sonst auch Kanzlerin Angela Merkel fliegt, waren 13 Sanitätssoldatinnen und Sanitätssoldaten. Sie sollen eine mobile Sauerstoffgewinnungsanlage der Bundeswehr in Indien aufbauen und Personal des örtlichen Roten Kreuzes einweisen. Die sehr große Anlage soll am Mittwoch und Donnerstag mit zwei Transportflugzeugen geliefert werden. Sie macht Außenluft zu medizinischem, hochprozentigem Sauerstoff, der anschließend abgefüllt werden kann.

Aus Russland wurde eine erste Charge des Impfstoffs Sputnik V geliefert, der kürzlich in Indien zugelassen worden war. Die Lieferung sei am Samstag in Hyderabad eingetroffen, twitterte der staatliche russische Direktinvestmentfonds RDIF. Dabei handelte es sich nach Regierungsangaben um 150.000 Dosen des Impfstoffs Sputnik V. Erwartet würden weitere Millionen Dosen, sagte ein Sprecher des indischen Außenministeriums. Sie sollen von dem Unternehmen Dr. Reddy's Labs vertrieben werden. Russland hat bereits Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung und Medikamente nach Indien geflogen.

Produktion von 100 Millionen Dosen pro Monat

Indien selbst will die Produktion von Corona-Impfstoffen hochfahren. Medienberichten zufolge sollen bis Juni 100 Millionen Dosen pro Monat statt der aktuellen rund 75 Millionen hergestellt werden. Indien wird oft als "Apotheke der Welt" bezeichnet, da dort eigenen Angaben zufolge rund die Hälfte aller Impfstoffe weltweit hergestellt wird und viele für relativ wenig Geld an ärmere Länder gehen.

Flüge aus Indien gestoppt

Im Ausland wächst unterdessen die Sorge vor den hohen indischen Fallzahlen und zirkulierenden Varianten des Coronavirus. Auch die USA und Australien stoppen Reisende aus Indien. In den USA tritt die Maßnahme am Dienstag in Kraft, wie aus einer Verfügung von US-Präsident Joe Biden hervorgeht. Nicht mehr einreisen dürfen dann Ausländer, die in den vorangegangen 14 Tagen in Indien waren. Ausgenommen sind US-Bürger, Ausländer mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht in den USA, Diplomaten sowie bestimmte andere Personengruppen.

Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren

Australische Behörden gingen weiter: Eigene Staatsbürger, die aus Indien einreisen, müssen Medienberichten zufolge mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren oder hohen Geldstrafen von bis zu 66.000 australischen Dollar (rund 42.000 Euro) rechnen. Derzeit warten etwa 9000 Australier in Indien auf ihre Heimreise. Dank strikter Maßnahmen ist Australien bisher glimpflich durch die Pandemie gekommen.