Knapp elf Monate "danach" kommt der Prozess in der Urteilsphase an: Am 25. Mai 2020 stirbt der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis bei einer Festnahme. Zuvor drückt der weiße Polizist Derek Chauvin dem Mann über neun Minuten sein Knie auf den Hals, während dieser vergebens darum fleht, ihn atmen zu lassen.

Ein Prüfstein mit Signalwirkung

Staatsanwalt Steve Schleicher sagte in seinem Schlussplädoyer vor dem Gericht in Minneapolis, dass der weiße Ex-Polizist Derek Chauvin direkt für den Tod Floyds verantwortlich sei. Chauvins exzessive und erbarmungslose Gewaltanwendung habe Floyd getötet, sagte Schleicher. Er wies darauf hin, dass Floyd den Polizisten minutenlang gebeten habe, ihn atmen zu lassen. Chauvin habe neun Minuten und 29 Sekunden erbarmungslos auf Floyd gekniet. "Der Angeklagte hat nicht geholfen" und damit klar gegen die Regeln für Polizeieinsätze verstoßen, betonte Schleicher an die Geschworenen gerichtet.

Nach den Schlussplädoyers  von Staatsanwaltschaft und Verteidigung werden sich die Geschworenen zur Beratung zurückziehen, und die USA wird den Atem anhalten. Die Bedeutung des Urteils - die Frage von Schuld oder Unschuld muss von den Geschworenen einstimmig beantwortet werden - kann gar nicht überschätzt werden. Schicksale wie jenes von George Floyd gab es während der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zuhauf. Das Urteil wird nicht zuletzt Befund darüber sein, wie das Land mit offenbar systemischem Rassismus, den es auch innerhalb der US-Polizeibehörden gibt, umgeht.

Der am schwersten wiegende Anklagepunkt gegen Chauvin lautet Mord zweiten Grades ohne Vorsatz, worauf bis zu 40 Jahre Haft stehen. Zudem wird Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Daneben muss er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, wofür zehn Jahre Haft vorgesehen sind. Der Ex-Beamte plädierte auf nicht schuldig und verweigerte in der Schlussphase des Verfahrens seine Aussage. Dass selbst Medaria Arradondo, Polizeichef von Minneapolis, das Vorgehen des Angeklagten im Prozess als klaren Regelverstoß einschätzte, spricht Bände.

US-Präsident Joe Biden hielt relativ bald nach seinem Amtsantritt fest, dass es Reformen brauche, um derartige Fälle in Zukunft zu vermeiden. Er erklärte das schwelende, institutionalisierte Rassismusproblem in seinem Land damit gewissermaßen zur Chefsache. Der Prozess und sein Ausgang werden zum Prüfstein. In der Realität können US-Polizisten auch wegen Bagatelltaten (George Floyd wurde das Vorlegen eines gefälschten 20-Dollar-Scheins angelastet) massive Gewalt einsetzen - und tun dies auch.

Weitere Menschen starben seit George Floyd

Das Land hat nicht vergessen und bekommt wöchentlich neue Fallbeispiele vor Augen geführt: In einem Vorort von Minneapolis in den USA gibt es seit bald zehn Tagen in Folge Proteste gegen Polizeigewalt. Ende März wird der erst 13-jährige Adam Toledo, ein mexikanisch-amerikanischer Bub, in Chicago durch den Schuss eines Polizisten getötet. Der 20-jährige Schwarze Daunte Wright wird am 11. April keine 15 Kilometer entfernt von jenem Verhandlungssaal in Minneapolis, in dem der Floyd-Prozess nun zu Ende geht, von einer Polizistin getötet. Die Beamtin beruft sich darauf, dass sie eigentlich nach ihrem Taser greifen wollte, aber versehentlich die Waffe zückte.

Tatsache ist: Jedes Jahr erschießen US-Polizisten im Dienst rund 1000 Menschen - in mehr als 98 Prozent der Fälle kommt es zu keiner Anklage. Abgesehen von überfälligen Reformen bei Ausbildung und Praxis, wird auch der Ausgang dieses Prozesses wird darüber mitentscheiden, ob dies in Zukunft gebührend ausgeleuchtet wird.