Reichweite in den sozialen Netzwerken ist für viele Userinnen und User alles, dafür nehmen sie auch immer wieder Risiken in Kauf. Sei es, für besonders spektakuläre Bilder und Videos nahe an Klippenrändern zu stehen, oder eben auch bei sogenannten gefährlichen Trends oder Challenges mitzumachen. Die Blackout-Challenge, bei der Menschen versuchten, absichtlich für kurze Zeit das Bewusstsein zu verlieren, sorgte im Frühjahr 2024 für Aufregung. Erst vor wenigen Wochen warnten Chirurgen noch eindringlich vor der „Superman-Challenge“ auf TikTok, da in kurzer Zeit im Klinikum Klagenfurt bei jungen Patienten komplexe Brüche operiert werden mussten. Zumindest gab TikTok daraufhin auch bekannt, dass man proaktiv Inhalte entfernen würde, die gefährliche Aktivitäten oder Challenges zeigen oder fördern.
Nun ist angeblich der nächste Trend da - um hoffentlich nicht zu bleiben: die „Paracetamol“-Challenge. Jugendliche sollen absichtlich hohe Mengen des Medikaments Paracetamol zu sich nehmen und sich selbst in den Stunden danach filmen. Man findet auf Social-Media-Plattform aber auch Videos von Kindern und Jugendlichen, die erst im Krankenhaus aufgenommen wurden. Allerdings gibt es inzwischen Zweifel, ob es diese „TikTok“-Paracetamol-Challenge überhaupt gibt.
Das sind die Gefahren einer Paracetamol-Überdosierung
Ungeachtet dessen warnen Experten davor, übermäßig Schmerzmittel wie Paracetamol und ohne ärztliche Anweisung zu sich zu nehmen. Die Leberschädigungen bei einer zu hohen Dosierung können irreversibel sein. „Es kann zu schweren Vergiftungen führen, das ist lebensgefährlich“, sagt Robert Birnbacher, Abteilungsvorstand der Kinder- und Jugendheilkunde am LKH Villach.
Auch in anderen Ländern ist man alarmiert. Laut „Blick“ seien die Apotheken in einigen Kantonen zu erhöhter Wachsamkeit beim Verkauf des Medikaments an Jugendliche aufgerufen. Bereits vor Jahren gab es auf Facebook und Instagram angeblich dieselbe Challenge.
Falls eine zu hohe Menge an Paracetamol eingenommen wurde, sollte man laut Birnbacher „unbedingt sofort eine Kinder- und Jugendabteilung mit Intensivstation aufsuchen. Das ist ein absoluter Notfall.“
Paracetamol ist rezeptfrei in Apotheken erhältlich. „Es ist ein gängiges Schmerzmittel, fiebersenkend, gut verträglich und leicht verfügbar. Ich glaube, es gibt wenige Haushalte, in denen Paracetamol nicht vorhanden ist“, meint Birnbacher, der aber auch betont, dass das Medikament Nebenwirkungen haben kann.
Erst Anfang Dezember hat übrigens die Europäische Arzneimittelagentur auf ein neues Risiko des Schmerzmittels aufmerksam gemacht: die metabolische Azidose. Es handelt sich dabei um eine Störung des Stoffwechsels. Bereits vor einigen Jahren wurde darauf aufmerksam gemacht, dass Paracetamol ein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen birgt und unnötiger Konsum über längeren Zeitraum grundsätzlich vermieden werden sollte.
Zweifel an Echtheit der Challenge
Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass es die Paracetamol-Challenge in der so propagierten Form gar nicht gibt. TikTok selbst dementiert die Vorwürfe und verweist darauf, dass es keine entsprechenden Videos auf der Plattform gefunden habe. Mithilfe des Algorithmus lassen sich solche Trend meist schnell ausfindig machen. Man sei jedoch nicht fündig geworden.
Was man noch als Schadensbegrenzung des Unternehmens abtun könnte, bekommt aber durchaus Gewicht durch einen Faktencheck von mimikama.org. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Aufklärung über Internetmissbrauch beizutragen und macht regelmäßig Faktenchecks, um Fake News zu entlarven. Und genau darum könnte es sich bei der vermeintlichen „Paracetamol-Challenge“ handeln: ein Fake.
Wie Mimikama auf seiner Website schreibt, habe eine genauere Analyse gezeigt, „dass bislang kein einziger verifizierter Fall dokumentiert wurde. Weder TikTok selbst noch unabhängige Recherchen konnten Inhalte finden, die belegen, dass Jugendliche tatsächlich an diesem angeblichen Trend teilnehmen“. Dennoch halte sich dieses Gerücht hartnäckig.
Dabei folgt die aktuelle „Challenge“ dem bekannten Muster nicht belegbarer Social-Media-Hypes, „bei denen Warnungen eine vermeintliche Gefahr erst erschaffen, ohne dass es reale Hinweise auf deren Existenz gibt“. Ganz real ist aber weiterhin die Warnung der Mediziner vor den Gefahren unkontrollierter Einnahme von Medikamenten.