Seine sagenhafte Allmacht will Onlinegigant Amazon künftig in aller Deutlichkeit auch in der analogen Welt zur Schau stellen. Der Name des Projekts „Helix“ kommt aus dem Griechischen und benennt eine Kurve, die sich um den Mantel eines Zylinders windet. Ein Hinweis auf die ungewöhnliche Architektur des zweiten US-Hauptquartiers, das in Arlington im US-Staat Virginia entstehen wird. Dem mächtigen Büroturm, in, wie Kritiker lästern, „Softeis-Architektur“, stehen drei 22-stöckige Gebäude auf einem Campus förmlich zur Seite. Im Zentrum der Zentrale, die sich 107 Meter in die Höhe schraubt und die menschliche DNA symbolisiert, soll der Mensch stehen - sagt Amazon.

Schauplatzwechsel ins Amazon-Headquarter nach Seattle: „Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist“, diese Redewendun hat sich Amazon-Gründer Jeff Bezos wohl zu Herzen genommen. 2020 konnte Amazon seinen Gewinn um 84 Prozent auf 21,3 Milliarden US-Dollar steigern, im Weihnachtsquartal durchbricht der Versandhändler die magische 100-Milliarden-Dollar-Marke beim Umsatz deutlich (125,6 Milliarden Dollar).

Mit diesen Rekordzahlen im Rücken will Bezos im Sommer die operative Führung des Konzerns abgeben und sich auf den Posten des Verwaltungsratsvorsitzenden zurückziehen. In seiner zukünftigen Rolle wolle er seine Energie und Aufmerksamkeit auf neue Produkte und Initiativen ausrichten, schreibt Bezos in einem Memo. Sein Nachfolger als CEO wird der Cloud-Spezialist Andy Jassy.

Wachstum ohne Rücksicht

In den 27 Jahren als Kopf von Amazon erschuf Bezos aus dem Nichts einen digitalen Leviathan, ein weltumfassendes Konzern-Ungetüm, das nicht nur die Konsumwünsche seiner Kunden errät und erfüllt, sondern darüber hinaus mit „Alexa“ ins globale smarte Zuhause einziehen und mit Fire-TV zum Dreh- und Angelpunkt digitaler Unterhaltung werden will.

Wachstum ohne Rücksicht auf Verluste: Das ist vom Start weg, als der Online-Buchhandel in der Garage gegründet wurde, die Devise. Bis 2015 machte Amazon kaum nennenswerte Gewinne. Seither gehen die Zahlen steil bergauf. Auch auf Kosten vieler kleiner Händler, die über Amazon ihre Waren verkaufen. Dem Konzern wird vorgeworfen, Daten aus diesen Verkäufen für eigene Zwecke zu nutzen, beispielsweise, um Verkaufsschlager selbst anzubieten. Die EU-Kommission leitete daher ein Verfahren ein. Die Marktmacht des Versandhändlers zu spüren bekommen auch Paketzusteller. In großen Städten übernimmt Amazon die Lieferung selbst. Nur wenig lukrative Adressen am Land dürfen Post und Co. noch beliefern.

Machtvolle Cloud

Doch all das ist nur die Spitze des Eisberges. Denn mit dem Cloud-Service AWS ist Amazon inzwischen auch zu einem essenziellen Bestandteil des Internets an sich geworden. AWS beherrscht ein Drittel des Marktes für Cloud-Speicher, im Markt für digitale Dienstleistungsinfrastruktur sind es sogar 45 Prozent. Was das konkret bedeutet? Selbst wenn man beim Shoppen im Internet bewusst auf Amazon verzichtet und andere Webseiten nutzt, ist die Chance hoch, dass der Konzern dennoch mitverdient, weil entweder die Seite, die Kundendatenverwaltung oder das Buchungs-System auf Amazon-Servern läuft.

Wie groß die digitale Schlagkraft dieses Giganten ist, zeigt sich am Beispiel von Parler. Der kleine Konkurrent von Twitter wurde von Trumpisten beim Sturm auf das Kapitol als primärer Kommunikationskanal genutzt. Technisch baut die App auf Infrastruktur von Amazon. Der Konzern reagierte prompt und drehte Parler einfach ab.

Längst ist der Einfluss des Onlineriesen gefürchtet. In der Coronakrise vergrößerte Amazon sein Imperium weiter. Handel und Internet hat Jeff Bezos bereits revolutioniert, nun will er eine Rakete zum Mond schießen. Der zweitreichste Mensch der Erde verzichtet auf eine der mächtigsten Positionen des Planeten, um mit seinem Raumfahrtunternehmen Blue Origin den Weltraum zu erobern. Es geht immer eine Etage höher – ähnlich einer Helix, die sich immer weiter nach oben schraubt.