Nach der überraschenden Zinssenkung der US-Notenbank im Zuge der Coronavirus-Epidemie hält die Europäische Zentralbank (EZB) vorerst die Füße still. Sie kam am Dienstagabend zwar zu einer außerordentlichen Telefonkonferenz zusammen, um die Lage zu bewerten, wie Reuters von Insidern erfuhr. Demnach diskutierte der EZB-Rat operative Fragen, eine geldpolitische Antwort war jedoch nicht auf der Agenda.

Ein Notenbank-Sprecher lehnte am Mittwoch eine Stellungnahme ab. Die nächste reguläre Zinssitzung des EZB-Rats ist für den 12. März in Frankfurt anberaumt. Insidern zufolge arbeiten die Währungshüter daran, spezielle Liquiditätsspritzen für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) aufzuziehen, um Finanzierungsengpässe zu verhindern.

Auf der EZB-Telefonkonferenz sei darüber gesprochen worden, wie das Finanzsystem bisher die Viruskrise verkrafte, sagten die mit der Situation vertrauten Personen. Auch die Frage, wie die EZB und die 19 nationalen Euro-Notenbanken im Stressfall kooperieren sollten, sei Thema gewesen. Zwar gebe es derzeit keine Anzeichen für Liquiditätsprobleme. Und auch eine erhöhte Bargeldnutzung lasse sich nicht feststellen. Es sei aber besprochen worden, wie die Währungshüter auf derartige Stresssignale reagieren würden.

Wenig Spielraum

Anders als die US-Notenbank Fed hat die EZB bei den Zinsen nicht mehr viel Spielraum. Ihr Leitzins liegt bereits auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Am Dienstag hatten sich die sieben führenden Industriestaaten (G7) in einer Telefonkonferenz über das weitere Vorgehen abgestimmt, ohne jedoch Konkretes zu beschließen.

Mit Spannung warten Experten nun auf die am Nachmittag (16.00 MEZ) anstehende Zinsentscheidung der Notenbank von Kanada: Der nördliche Nachbar der Vereinigten Staaten ist neben den USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien Mitglied der G7. Die Notenbank in Ottawa hatte den Leitzins zuletzt bei 1,75 Prozent belassen, die Tür für eine Senkung jedoch offen gelassen.

Überraschende Zinssenkung

Die US-Notenbank hatte am Dienstag überraschend ihren Leitzins um einen halben Punkt gesenkt, und zwar auf 1,0 bis 1,25 Prozent. Der Schritt wurde mit den Risiken für die US-Wirtschaft begründet, die mit der Ausbreitung des Coronavirus verbunden sind. Ökonom Nathan Sheets vom Vermögensverwalter PGIM sieht das Zinspulver der Federal Reserve (Fed) allerdings zusehends schwinden. Falls die Notenbank letztlich nach weiteren Schritten an der Nullzins-Grenze landen sollte, stelle sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen: "Könnte es zu neuen Wertpapierankäufen kommen?"

Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer ZEW sieht in Zinssenkungen "eine schwache Medizin" gegen das Coronavirus: "Das gilt insbesondere für Europa, wo eine nennenswerte Dosis in der Negativzinssituation nicht mehr verabreicht werden kann." Banken im Euroraum müssen bereits seit 2014 Strafzinsen berappen, wenn sie bei der EZB über Nacht Gelder parken. Damit soll der Druck auf die Geldhäuser steigen, dass Geld in Form von Krediten auszugeben und damit die Wirtschaft zu unterstützen.

Hongkong zieht nach

Im September hatte die EZB diesen "Einlagensatz" genannten Strafzins verschärft. Er beträgt jetzt minus 0,5 Prozent. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet inzwischen, dass die EZB auf ihrer Sitzung am 12. März den Einlagensatz auf dann minus 0,6 Prozent senkt. Am Geldmarkt sind sich Investoren inzwischen zu 91 Prozent sicher, dass die Zentralbank so handeln wird.

Während die EZB noch über weitere Maßnahmen nachdenkt, ist Hongkong dem US-Vorbild geldpolitisch gefolgt. Der Leitzins wurde von 2,0 auf 1,5 Prozent zurückgenommen, wie die Hongkong Monetary Authority (HKMA) am Mittwoch mitteilte. "Die Entwicklung der Epidemie ist immer noch sehr unsicher, es wird weiterhin eine sehr große Volatilität auf den Finanzmärkten geben", betonte die Behörde. Hongkongs Geldpolitik bewegt sich im Gleichschritt mit der amerikanischen. Grund dafür ist, dass die Währung der chinesischen Sonderverwaltungszone in einer engen Spanne von 7,75 bis 7,85 an den Dollar gekoppelt ist.

Die Weltbank hat unterdessen Soforthilfen in Höhe von 12 Milliarden Dollar (10,8 Milliarden Euro) im Kampf gegen die Virusepidemie angekündigt. Damit sollten Staaten bei der Bewältigung der medizinischen und wirtschaftlichen Folgen des Ausbruchs unterstützt werden, sagte Weltbank-Präsident David Malpass am Dienstag. Es gebe noch viele Unbekannte im Zusammenhang mit dem Virus, möglicherweise werde noch viel mehr Hilfe benötigt. Malpass rief die Länder dazu auf, sich auf regionaler und internationaler Ebene bei ihren Bemühungen abzusprechen.