Die vergangenen Tage hielten zahlreiche Hiobsbotschaften für den Wirtschaftsstandort bereit. Vom angekündigten Rückzug von Unimarkt über die Standortüberlegungen der Voestalpine in Mürzzuschlag bis hin zum massiven Stellenabbau bei der Lenzing AG. Die Konjunkturflaute belastet auch weiterhin den heimischen Arbeitsmarkt, Österreich ist mit der längsten Rezession der Zweiten Republik konfrontiert. Laut den aktuellen AMS-Zahlen waren Ende September rund 375.120 Personen beim Arbeitsmarktservice (AMS) arbeitslos oder in Schulung gemeldet, davon waren 299.180 arbeitslos und rund 75.940 in Schulungsmaßnahmen des AMS. Damit sind die monatlichen Arbeitslosenzahlen bundesweit seit April 2023 zum 30. Mal in Folge gestiegen. Und auch die Inflationsrate in Österreich bleibt mit 4,0 Prozent zu hoch – im Eurozonen-Schnitt liegt sie bei 2,2 Prozent.

Konjunkturprognose wird sich nicht stark ändern

Am Dienstag werden die Wirtschaftsforscher von Wifo und IHS ihre aktualisierte Konjunkturprognose veröffentlichen. Wifo-Chef Gabriel Felbermayr betonte am Sonntag in der ORF-Pressestunde, dass man „grosso modo“ mit ähnlichen Daten rechnen könne, wie jenen, die im Juni präsentiert wurden. Das bedeute für heuer, „dass wir die Rezession hinter uns lassen, aber auch kein Wachstum sehen“, die Wirtschaft trete in eine Phase der Stagnation ein. Für 2026 werde, wie schon im Juni, etwas Belebung prognostiziert.

In Summe schließt sich Felbermayr aber dem Befund des deutschen Ökonomen Marcel Fratzscher an, der unlängst in „Der Presse“ meinte, dass die Rezession eher zum Normalzustand werde. Das liege, so Felbermayr, daran, dass das Basiswachstum, auch in Österreich, noch vor wenigen Jahren in etwa bei 1,5 bis zwei Prozent lag, mittlerweile im längerfristigen Schnitt aber deutlich unter einem Prozent. „Da muss dann nicht viel passieren, da reicht etwas Zoll-Zauber aus dem Weißen Haus.“ Wenn das Basiswachstum aus Strukturgründen schwach sei, wie in Österreich, Deutschland und damit auch in der Euro-Zone, dann reichen kleinere Verwerfungen, um eine Wirtschaft „in die Rezession zu schießen“, sagt Felbermayr.

„Wir bräuchten dringend niedrigere Inflationsraten“

Wie alarmierend sind die geballten jüngsten Negativmeldungen aus Österreichs Wirtschaft? „Jede Zunahme der Arbeitslosigkeit alarmiert uns“, so Felbermayr. Es steige die Unsicherheit und es leide das Konsumklima. Nach zwei Jahren Rezession sei man an dem Zeitpunkt angelangt, „wo sich all diese Entwicklungen auch am Arbeitsmarkt zeigen“. Im Vergleich zu früheren Phasen einer schrumpfenden Wirtschaft habe sich der Arbeitsmarkt diesmal „relativ stabil“ präsentiert. Doch jetzt komme es vielfach „zum schon lange erwarteten Abbau“. Es sei jetzt auch noch keine Trendwende auf dem Arbeitsmarkt absehbar, so der Ökonom.

Höhere Gebühren, auslaufende preisdämpfende Maßnahmen

Die Schwierigkeiten seien breit gefächert, sie reichen von der Budget, bei der Finanzminister und Gebietskörperschaften kämpfen müssen über das Thema der Lohnfindung (hier habe die Sozialpartnerschaft aus Sicht Felbermayrs mit dem Metaller-Abschluss unter der Inflation gezeigt, dass sie funktioniere) bis hin zur Preisfront. „Wir bräuchten dringend niedrigere Inflationsraten“, sagt Felbermayr. Diese müssten in Österreich eigentlich für einen längeren Zeitraum unter dem Schnitt der Euro-Zone liegen, um das abzubauen, was Österreich in den letzten Jahren mehr an Inflation hatte. In Österreich trage auch die Budgetsanierung dazu bei, weil etwa öffentliche Gebühren teils kräftig erhöht wurden und werden und preisdämpfende Maßnahmen wie die Strompreisbremse ausgelaufen sind, weil sie nicht mehr leistbar waren. Dieser Basiseffekt durch das Ende dieser Maßnahmen wirke sich heuer aus. Hätte man die Strompreisbremse, die im Kern richtig gewesen sei, aber nicht gehabt, wäre die Inflationsrate damals wohl noch einmal um 1,5 bis zwei Prozentpunkte höher ausgefallen.

Bei Mieten und Lohnverhandlungen müsste man den Raum der Indikatoren vergrößern – und nicht automatisch 1:1 die Inflation als Kriterium für Erhöhungen heranziehen. Ein kompletter Ausstieg aus Indexierungen machen für Felbermayr keinen Sinn, aber die zugrundeliegenden Indikatoren müsse man sich genau anschauen.

„Die Bäume wachsen derzeit nicht in den Himmel“

Bei der nahenden Wifo/IHS-Prognose gebe es auch ein Abwärtsrisiko, aber auch ein sogenanntes „Aufwärtsrisiko“, wie Felbermayr unterstreicht. Wenn es etwa zu Frieden im Nahen Osten komme oder sogar in der Ukraine, dann könnte das Wachstum auch höher ausfallen. Auch eine Belebung des Konsums, die Sparquoten in Österreich sind nach wie vor sehr hoch, könnte Kräfte freisetzen. Dafür müssten aber, so Felbermayrs Appell, auch entsprechende Reformen – in Österreich, aber auch in der EU – „angegangen werden“. Denn klar sei: „Die Bäume wachsen aus Strukturgründen derzeit nicht in den Himmel.“ Daher brauche es diese strukturellen Anstrengungen. Felbermayr räumt ein, dass insbesondere der Inflationsschock 2022 – mit zweistelligen Teuerungsraten – Folgen hatte, immerhin sei in Österreich jahrzehntelang erzählt worden, dass man „Hort der Stabilität“ sei. „Der Schock war 2022 groß, dass dieses Versprechen nicht mehr eingelöst werden konnte.“

„Zeigt, was man mit gutem Willen erreichen kann“

Der Metaller-Abschluss könne nicht auf alle Branchen umgelegt werden, weil dieser Industriezweig zum einen in einer besonders herausfordernden Situation stecke und zudem stark exportorientiert sei. Der Abschluss habe ihn aber positiv überrascht, auch der konstruktive Zugang der Sozialpartner. „Der Metaller-Abschluss zeigt, was mit gutem Willen erreichbar ist.“ Es freue ihn auch, dass über den – an sich schon gesetzlich paktierten – Gehaltsabschluss im öffentlichen Dienst noch einmal verhandelt werde, so Felbermayr, der aber einen differenzierten Blick darauf hat. Es gebe Bereiche, er nennt u. a. die Polizei, wo Lohnzurückhaltung auch kontraproduktiv sein könne, weil sie auf längere Sicht negative Auswirkungen auf die Sicherheit im Land haben könnte. Dagegen sieht er in „seinem“ Bereich, also etwa bei Universitätsprofessoren, „wohl mehr Flexibilität“ beim Thema Gehaltsanpassungen. „Der öffentliche Dienst ist in sich sehr viel heterogener als das in der Metallbranche ist.“

Bleibe der Abschluss im öffentlichen Dienst für 2026 – 0,3 Prozentpunkte über der rollierenden Inflation doch aufrecht – dann würde der Spardruck bei der Budgetsanierung umso größer werden.

Mit Lebensmittelhändlern über Preise sprechen

Bei den Lebensmitteln hält der Ökonom eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmitteln für möglich. Felbermayr verwies dazu auf andere EU-Länder mit niedrigen Steuersätzen auf Lebensmittel. Die Regierung müsste sich dazu mit den vier großen Supermarktketten an einen Tisch setzen und über eine Art „Gentlemen‘s Agreement“ sicherstellen, dass die Lebensmittelhändler die Preissenkungen weitergeben. Deutschland habe mit einer Mehrwertsteuersenkung während der Corona-Pandemie gute Erfahrungen gemacht.

Budget: „Keine befriedigende Situation“

Für realistisch hält Felbermayr das Ziel der Regierung, 4,5 Prozent Defizit zu erreichen. Dies gehe sich „sehr knapp“ aus - die Situation sei aber „sehr fragil“. Kritisch sieht Felbermayr, dass Österreich damit noch weit über den 3 Prozent der Maastricht-Kriterien liegt - und dass man bei der Staatsschuldenquote auf 90 Prozent des BIP zusteuert: „Das, was wir da sehen, ist noch lange kein krisenfestes Budget. Das muss man in aller Deutlichkeit so sagen.“ Man sei damit „noch lange nicht gewappnet für eine neue Corona-Krise oder eine neue Verwerfung bei den Energiepreisen, was ja passieren könnte“. Daher sei das „keine befriedigende Situation“. „Mir macht Sorgen, dass wir auf den Märkten, bei den Zinsen, irgendwann mal so behandelt werden wie Frankreich, so der Wifo-Chef.

Mit dem aktuellen Budgetdefizit könne man die Staatsverschuldung nicht ausreichend dämpfen. „Darum würde ich schon sagen, die 4,5 Prozent reichen nicht.“ Eine Besserung sieht Felbermayr hier derzeit aber nicht: „In unserer Mittelfristperspektive sehen wir die 3 Prozent aber gar nicht - bis ins Jahr 2029, 2030 nicht. Da wird man sicher noch drüber nachdenken können oder müssen, wie mittelfristig der Konsolidierungskurs noch verschärft wird.“

Änderungen bei Grundsteuer andenken

Bezüglich der Gemeinden sagte Felbermayr, man müsse danach trachten, dass diese mehr Autonomie bekommen über deren Einnahmen. Daher müsse man über die Grundsteuer nachdenken, bei der zuletzt Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl (ÖVP) darauf hingewiesen hatte, dass diese seit 40 Jahren nicht mehr erhöht worden sei. „Es gibt ja neben der Kommunalsteuer und der Grundsteuer sehr wenig Eigenes, was die Gemeinden machen können“, so Felbermayr. „Ich glaube, dort müsste man aktiv werden“ - und zwar im Kontext einer größeren Reform. Man könne beispielsweise zu einer Bodenwertsteuer gehen - statt einer Grundsteuer, so ein Vorschlag.