Wenn in Leoben-Hinterberg vom „100er“, vom „10.000er“ und vom „100.000er“ die Rede ist, hat das wenig mit Euros zu tun. Vielmehr definieren die Zahlen die drei „Reinraum-Klassen“ jener neuen Fabrik von AT&S, die „einzigartig in Europa ist“, wie in der Obersteiermark am Dienstag außergewöhnlich oft zu hören ist.

Aber zurück zum Reinraum. Also zu jener speziell konstruierten Halle, in der die Konzentration von Luftpartikeln kontrolliert und permanent gemessen wird. Je nach dem Grad der erforderlichen Sauberkeit werden die Klassen unterteilt. Sie wissen schon: 100er, 10.000er oder 100.000er.

Der Grund für die penible Herangehensweise – eintreten darf man nur in Ganzkörperschutzanzug, mit Spezialschuhen und nach einer Luftdusche – ist banal wie entscheidend. Schon kleinste Verunreinigungen können die in Leoben produzierte Hochtechnologie unbrauchbar machen. „Die Luft im Reinraum Klasse 100 ist mehr als doppelt so rein wie am Nordpol“, heißt es bei AT&S.

Überhaupt ist der Hightech-Konzern, der nach langer Wachstumsphase in jüngerer Vergangenheit wirtschaftlich auch Herausforderungen zu meistern hatte, um bildliche Sprache bemüht. „Der Mikrochip ist das Gehirn, das Substrat steht für die Nervenzellen und für das Blut“, führt AT&S-Forschungschef Hannes Voraberger zum entscheidenden Produkt hin.

Tatsächlich verbindet das IC-Substrat den Mikrochip mit der Leiterplatte – einer weiteren AT&S-Disziplin – und gilt als mitentscheidend, um Energieeffizienz und Miniaturisierung weiter voranzutreiben. Final eingesetzt wird A&S-Technologie in unterschiedlichsten Produkten und Branchen. Von Mobiltelefon und Computer über Fahrzeuge, Industrieroboter und Medizintechnik bis hin zum Flugzeug und Satelliten.

420 Beschäftigte, 30 Nationen

„HTB3“, wie das Werk im AT&S-Slang genannt wird, ist nach dreijähriger Bauzeit und einer Investitionssumme jenseits der 500 Millionen Euro nun also in der Realität angekommen. Als Schmelztiegel, wohlgemerkt. 420 Beschäftigte aus rund 30 Nationen arbeiten bereits in der neuen Fabrik, bald sollen es mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein. Die Suche nach geeigneten Beschäftigten sei durchwegs anspruchsvoll, heißt es. Außerdem sei gewisse Fluktuation präsent. Reinraumarbeit ist außergewöhnlich, aber nicht jedermanns Sache.

Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer und AT&S-Boss Michael Mertin in Leoben
Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer und AT&S-Boss Michael Mertin in Leoben © Zottler

Nach dem Investment spielt Leoben, als erstes europäisches IC-Substrat-Werk, im Dreigestirn mit der Fabrik in Kulim (Malaysia) und jener in Chongqing (China) heute eine entscheidende Rolle. Während in der Steiermark Substrat-Forschung und -Entwicklung gebündelt ist und Kleinserien hergestellt werden, geht es auf den asiatischen Standorten in Richtung Massenfertigung.

„Jeder moderne Mikrochip, egal ob in KI-Rechenzentren, grünen Kraftwerken oder Smartphones, braucht IC-Substrate als Schnittstelle zu Datenspeichern und Stromversorgung“, betont auch Michael Mertin die Bedeutung der Produktklasse.

Plant Leoben Hinterberg, Austria
Das neue AT&S-Werk in Leoben-Hinterberg von oben © AT&S

Michael Mertin: ein Monat CEO

Mertin selbst steht seit ziemlich genau einem Monat offiziell an der Spitze von AT&S. Vakant wurde die Position nach dem überraschenden Abgang Andreas Gerstenmayers im Herbst 2024. Positiv überrascht sei er von „einem extrem hohen Qualifikationsniveau in der Belegschaft, deren Multinationalität und ihrer Identifikation mit dem Unternehmen“, wie Mertin im Gespräch schildert. Auf der anderen, der schwierigeren Seite, stehe ein Halbleiter-Markt, der per se „sehr volatil ist“.

Durch die nunmehrige Investition in Leoben sieht Mertin auch Europa als Mikroelektronik-Standort gestärkt. Ins gleiche Horn stößt Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer, der das neue steirische Werk als „Leuchtturm“ und „Festakt für Innovationskraft“ sieht.

„Europa“, so Hattmannsdorfer, müsse „elementare Technologien von Heute und Morgen beherrschen, die Mikroelektronik ist eine davon“. Michael Mertin pflichtet bei und ergänzt: „Wir können Europa nicht nur mit Waffen verteidigen“. Man müsse auch in ökonomischen Disziplinen führend sein.