Graz feiert das Weltkriegsende mit einem Tag Verspätung: Während etwa in Wien am Donnerstag, den 8. Mai, der Tag der Befreiung mit einem riesigen „Fest der Freude“ am Heldenplatz samt Auftritten von Opernstar René Pape, den Wiener Symphonikern und Zeitzeuge Paul Lendvai begangen wird, ist die offizielle Veranstaltung der Stadt Graz erst für den 9. Mai geplant – dafür aber mit dem größten Gedenken, das es bisher vom offiziellen Graz zum Ende des Zweiten Weltkrieges gab. Vor zehn Jahren etwa gab es einen Vortrag von Friedensnobelpreisträger Lech Walesa.

Der Grund für die Verschiebung ist Konstantin Wecker: Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) hat sich den bayrischen Liedermacher nicht nur persönlich für diesen Anlass gewünscht, sondern auch gleich selbst die Verbindung zu ihm hergestellt. Wecker, der unter anderem mit seiner Hymne „Sage Nein!“ (1993) als einer der wichtigsten antifaschistischen Musiker im deutschen Sprachraum gilt, und sein Pianist Jo Barnikel touren derzeit mit dem Programm „Lieder meines Lebens“ durch die Lande, am 8. Mai war bereits ein Auftritt in Friedrichshafen gebucht. Für den 9. Mai sagte Wecker aber zu – und nicht nur das: Er gestaltet ein eigenes Programm mit dem Titel „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ mit Musik, Lesungen und Videoeinspielungen. Außerdem wollte er von der Stadt Graz keine Gage, 5000 Euro werden dafür an vier Vereine gespendet – die „Omas gegen Rechts“, den freien Radiosender „Radio Helsinki“, den Kulturverein „Rotor“ und eine Jugendorganisation.

Es ist davon auszugehen, dass Wecker auf der Bühne auch Bezüge zum aktuellen Zeitgeschehen herstellen wird. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“, das sei für ihn auch Orientierung für eine aktuelle Friedens- und Antikriegsbewegung, schreibt er in einem gleichnamigen Text auf seiner Homepage: „Skeptisch sollten wir bei all denen sein, die zwar von ‚Frieden‘ sprechen, aber vom Faschismus schweigen und die nicht bereit sind, gegen die Kriegsverbrechen aller reaktionären Mächte und Imperien zu protestieren“, heißt es darin: „Mit Rassisten und Faschisten darf es keine Zusammenarbeit geben. Niemals. Nirgends.“

Die Wilden Alten zeigen ihre Performance „Nie wieder!“
Die Wilden Alten zeigen ihre Performance „Nie wieder!“ © Die Wilden Alten

Auf der Kasemattenbühne treten am Donnerstag außerdem Isabel Frey & Band sowie die „Wilden Alten“ auf, die „Eingreiftruppe zur Rettung der Welt“ besteht aus Kriegs- und Nachkriegsgeborenen, die in ihrem aktuellen Stück „Nie wieder“ eine starke Botschaft gegen Hass, Faschismus und Krieg verbreiten wollen. Die Eröffnungsrede hält Bürgermeisterin Elke Kahr, eine Festrede die Historikerin Karin Schmidlechner-Lienhart. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei, die 1200 kostenlosen Tickets waren aber wenige Tage nach der Ankündigung bereits vergeben. Wer nicht dabei sein kann, kann aber erstens Wecker am 2. Dezember im Grazer Congress live erleben und zweitens die Festveranstaltung auf den Kasematten in einem Livestream auf ORF on verfolgen. Das ORF Landesstudio Steiermark hat mehrere Kameras im Einsatz, um den Abend auf die Bildschirme der Zuseherinnen und Zuseher zu streamen.

Während die Stadt Graz den Festakt am 9. Mai begeht, ist eine Festveranstaltung des Landes Steiermark erst für 11. Juni anberaumt: Bei der Veranstaltung in der Alten Universität fasst man, wie auch in anderen Bundesländern, die Gedenktage des Kriegsendes, die Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15. Mai 1955 (in Kraft trat dieser am 27. Juli) und den Beitritt zur Europäischen Union (per 1. Jänner 1995) zusammen, als Festredner konnte Konrad Paul Liessmann gewonnen werden.

KPÖ feiert 80 Jahre Kriegsende am 8. Mai

Auch, wenn es für manche paradox anmutet, dass man sich gerade im kommunistisch regierten Graz an diesem Tag zugleich auch an den Einmarsch der Roten Armee in der Nacht auf den 9. Mai 1945 erinnern müsse – die Stadt und Teile der Steiermark standen ja für 75 Tage unter sowjetischer Besatzung –, geht es der Grazer KPÖ bei einer eigenen Festveranstaltung am 8. Mai im Volkshaus um etwas ganz anderes. Beim Fest „80 Jahre Befreiung von Faschismus und Krieg – Stimmen gegen das Vergessen“ nimmt man den Tag zum Anlass, dem antifaschistischen Widerstand zu gedenken und diesen zu würdigen, das habe angesichts der weltpolitischen Entwicklungen höchste Aktualität. „Wir wollen eine vielfach verschwiegene Geschichte in Erinnerung rufen“, sagt KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer, der im Volkshaus auch die Festrede halten und dabei auch auf die Rolle der Kommunistischen Partei eingehen wird: „Rund 2.000 Mitglieder der KPÖ haben ihr Leben im Kampf um die Befreiung der Menschheit von der Nazi-Tyrannei und für ein freies, demokratisches Österreich gegeben.“ Neben einem historischen Überblick von Heimo Halbrainer, der über den Widerstand und die Befreiung in Graz spricht, singt Natalie Moser Lieder der Freiheit und des Widerstands, nach wird die ORF-Dokumentation „Partisanen der Eisenstraße“ gezeigt, die vom mutigen Widerstand gegen das NS-Regime in der Obersteiermark erzählt.

Partisanen der Eisenstraße - Widerstand in der Obersteiermark - Eine ORF-III-Neuproduktion über Widerstandsgeist in der Obersteiermark. Das Gebiet der steirischen Eisenstraße rund um Leoben und den Erzberg war ein Zentrum des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Der widerständische Geist hier im obersteirischen Industriegebiet geht auf eine lange Tradition des Kampfes um die Arbeiterrechte zurück: Mutige Freitheitskämpfer schlossen sich zu einer Partisanenorganisation zusammen - zur Österreichischen Freiheitsfront Leoben-Donawitz. Es waren Vertreter der Arbeiterbewegung rund um Sepp Filz und Max Muchitsch, die den massivsten Widerstand gegen die Nazi-Diktatur leisteten und dabei ihr Leben riskierten. Sie kämpften für ein freies, demokratisches Österreich. Und wollten nicht tatenlos zusehen, wie das Nazi-Regime ihre Heimat in den Untergang führte. Der Film erzählt von waghalsigen Sabotageakten gegen die Kriegswirtschaft in und um Leoben, von tödlichen Feuergefechten mit Nazitruppen in der Eisenerzer Bergwelt, von mutigen Frauen wie der Leobener Kindergärtnerin Mathilde Auferbauer oder der Leobener Gemeindebediensteten Christine Berger, die für ihre Unterstützung der Partisanen ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert wurden. Nach Kriegsende waren es Sepp Filz & Co, die das Stahlwerk in Donawitz vor der Zerstörung durch die Nazis gerettet haben und darüber hinaus ganz wesentlich am demokratischen Wiederaufbau in der Obersteiermark beteiligt waren. - Im Bild: Eisenstraße. Das Gebiet der steirischen Eisenstraße rund um Leoben und den Erzberg war ein Zentrum des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Foto: ORF/Mokino Filmproduktion. Veröffentlichung honorarfrei nur für redaktionelle Berichterstattung in Sendungszusammenhang und mit Copyrightangabe. Kontakt: foto@orf.at
Partisanen der Eisenstraße - Widerstand in der Obersteiermark © ORF/Mokino Filmproduktion

Krotzer möchte aber auch, wie schon Kahr vor ihm, nochmals mit den Unterstellungen aufräumen, man zelebriere in Graz den „Tag des Sieges“ am 9. Mai – an diesem gedenkt Russland seit 1965 den Sieg der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland 1945 mit einem Feiertag und einer Siegesparade auf dem Roten Platz in Moskau. Es handle sich um eine reine Terminkollision: „Wir haben Wecker schon vor einem Jahr angefragt, er hat uns für den 9. Mai zugesagt, und das dazu gegen eine Spende, da wären wir verrückt gewesen, abzulehnen.“

Viele weitere Veranstaltungen

Neben dem Höhepunkt der offiziellen Festveranstaltung ist das Programm im Gedenkjahr 2025 ein umfangreiches: Schon im April fand etwa eine internationale Konferenz des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgenforschung zu den „5er-Jahren“ (1945, 1955, 1975, 1995) als Zäsuren der österreichischen Zeitgeschichte statt, die Gedenkinitiative organisierte eine Gedenkveranstaltung zum Lager Liebenau.

Im Graz Museum gibt es am Donnerstag ab 15 Uhr einen Aktionstag bei freiem Eintritt. Dabei werden Gegenstände aus dem ehemaligen Zwangsarbeitslager in Graz-Liebenau gezeigt, eine Impulsführung fokussiert auf Bilder und Objekte aus der NS- und Nachkriegszeit, ein Holocaust-Überlebender erzählt und Barbara Stelzl-Marx stellt ihr Buch „Roter Stern über Graz“ über die 75 Tage unter der sowjetischen Besatzungsmacht vor.

Ebenfalls ab 15 Uhr sind im Volkskundemuseum mehrere Zeitzeugen für Gespräche zu Gast.

Der Bezirksrat St. Leonhard lädt am 8. Mai zur Reinigung der Stolpersteine im Bezirk (Treffpunkt: 16.30 Uhr, am Kaiser-Josef-Platz vor dem Stand „Wilde Genüsse“).

Historiker Heimo Halbrainer führt bei mehreren Rundgängen in die Geschichte: Am Samstag, den 10. Mai, findet ein Rundgang zum Thema „Widerstand und Befreiung 1945“ statt, der sich auf die Spuren der überparteilichen Widerstandsgruppe „Steirische Kampfgemeinschaft“ macht: Sie konnten die von den Nationalsozialisten beabsichtigte Zerstörung der Infrastruktur und sinnlose Kampfhandlungen verhindern und führten auch erste Festnahmen von Nationalsozialisten durch. Treffpunkt ist um 10.30 Uhr bei der Franziskanerkirche/Kapistran Pieller-Platz. Um 11.15 Uhr hält Stadthistoriker Karl Kubinzky einen Vortrag im Museum für Geschichte über Graz 1945.

Am 15. und 20. Mai dreht sich bei Rundgängen alles rund um das Jüdische Leben in den Bezirken Gries (Treffpunkt 15. Mai, 18 Uhr, Bad zur Sonne) und Lend (Treffpunkt 20. Mai um 18 Uhr, Südtirolerplatz).

Am 21. Mai laden Halbrainer und Birgit Johler (Kuratorin Volkskundemuseum) zum Rundgang „NS-Terror und Erinnerung rund um das Paulustor“ im Volkskundemuseum, das gegenüber der damaligen Gestapo-Zentrale samt Gefangenenhaus liegt. In der neuen Ausstellung „Welten, Wandel, Perspektiven“ erinnert das Museum an diese NS-Terrorzentrale in seiner unmittelbaren Nachbarschaft und an die hier vom NS-Regime verfolgten Menschen. Treffpunkt ist um 16 Uhr im Museum.

Weitere Veranstaltungen unter graz.at/gedenkjahr2025