Jeddah ist ein geschichtsträchtiger Platz. Die zweitgrößte Stadt von Saudi-Arabien wurde vor 2500 Jahren von Jemeniten gegründet. In diesen Tagen wird die Metropole am Roten Meer gewissermaßen zum Mekka des Motorsports. Denn die für Nicht-Muslime verbotene echte heiligste Stadt des Islam liegt nur eine knappe Autostunde entfernt. Die Gegenwart bildet zur Historie vor einem schwül-diesigen Horizont einen scharfen Kontrast ab. Die Menschen pilgern zur neuen und nunmehr schnellsten Rennstrecke der WM. Die Formel-1-Boliden würden indes, hätten sie freie Fahrt, für die 80 Kilometer nicht einmal 20 Minuten benötigen.

Nur wenige hundert Meter von der Rennstrecke entfernt liegt die monströse Yacht des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman vor Anker und auch Lewis Hamilton sitzt nicht gerade in einem sinkenden Schiff. Doch der siebenmalige Weltmeister hätte im freien Samstagtraining angesichts einer direkt neben der Piste errichteten Moschee beinahe einen schweren Unfall provoziert.

Der mit großem Geschwindigkeitsüberschuss herangebrauste Nikita Masepin konnte dem offenbar völlig unkonzentrierten und in einem für Formel-1-Verhältnisse Schritttempo dahin tuckernden Briten erst im letzten Moment ausweichen. Schon zuvor hatte Hamilton Pierre Gasly blockiert und überdies bei Überholmanövern gelbe Flaggen ignoriert. Er musste sich bei den Stewards verantworten, kam aber ohne Strafe davon und es stellte sich trotzdem die Frage: Wirft der WM-Zweite im Finale des großen Duells mit Max Verstappen die Nerven weg?

Mitnichten, denn im Qualifying schlug der Titelverteidiger zurück, allerdings vor allem deshalb, weil der Niederländer in seiner letzten Runde auf klarem Bestzeitkurs in der Schlusskurve überpowerte und die Streckenbegrenzung touchierte. So startet Hamilton am Sonntag aus der Pole-Position, während Verstappen hinter des Briten Mercedes-Teamkollegen Valterri Bottas das Rennen nur aus der zweiten Reihe in Angriff nehmen kann.

Titelanwärter auf Augenhöhe

An sich haben beide Titelanwärter im Verlauf der Saison in wesentlichen Momenten mentale Robustheit unter Beweis gestellt. Sowohl Hamilton als auch sein niederländischer Rivale hatten sich bisher dem großen Druck gewachsen gezeigt. Im fahrerischen Bereich agieren die zwei Hauptakteure auf Augenhöhe, Verstappen ist es aber wiederholt gelungen, den leichten motorischen Vorteil der Mercedes-Konkurrenz wettzumachen.

Für Jeddah war dem Boliden von Hamilton nach dessen Siegen in Brasilien und Katar ein signifikanter motorischer Vorteil prophezeit worden, doch dies hat sich nicht bewahrheitet. Eigentlich hätte Verstappen den Spieß umgedreht, wäre er nicht im letzten Moment in der mit millimetergenauer Präzision zu passierenden Stelle vom Kurs abgewichen. Der WM-Führende ärgerte sich, fand aber rasch die Fassung wieder. "Wir haben gezeigt, dass unser Auto sehr schnell ist, das werden wir im Rennen zeigen", richtete er eine klare Kampfansage Richtung Hamilton.

Im saisonalen Zahlenvergleich hat Verstappen die Frontflügel knapp vorn. Der Red-Bull-Pilot kann auf bereits neun Saisonsiege verweisen, der Mercedes-Lenker kam auf bisher sieben Erfolge und weist in der WM-Wertung acht Punkte Rückstand auf.

Der aus politischen Gründen umstrittene Grand Prix von Saudi-Arabien förderte indes die für die Endphase möglicherweise nicht unerheblichen markanten Unterschiede der zwei Persönlichkeiten wieder zutage. Während Hamilton Menschenrechte einfordert und damit bei Presseterminen auch in Jeddah konfrontiert wurde, lässt Verstappen solche Themen nicht in seinen Windschatten eintreten. "Wir gehen dorthin, wo wir fahren müssen", hatte der 24-jährige Niederländer erklärt.