Der ohrenbetäubende Jubel für Marokkos WM-Helden hallte bis in die Katakomben des Al-Thumama-Stadions. Dort verschwand Cristiano Ronaldo, begleitet von einer Kamera vor den Augen der Fußballwelt, schluchzend in die Kabine. An einem historischen WM-Abend konnte auch der nur eingewechselte Superstar Portugals das Turnier-Aus der Iberer und den Triumph des Außenseiters nicht verhindern. Marokko steht als erstes Team aus Afrika im Semifinale einer Fußball-Weltmeisterschaft.

"Wir zeigen der Welt, was man erreichen kann, auch wenn man nicht so viel Talent und Geld hat. Wenn man daran glaubt und das mit Entschlossenheit angeht, kann man viel erreichen", sagte Trainer Walid Regragui nach dem 1:0-(1:0)-Triumph am Samstagabend im Viertelfinale von Doha.

"Es ist kein Wunder"

Wie wild feierten die Nordafrikaner mit ihren Fans in Rot. Die Spieler rannten mit einer Fahne – halb Katar, halb Marokko – zu ihren Anhängern hinter ihrem Tor, das sie zuvor so verbissen verteidigt hatten. "Es ist kein Wunder. Viele halten es für ein Wunder, vor allem in Europa. Das ist kein Wunder, das ist das Ergebnis harter Arbeit. Wir haben den Kontinent glücklich und stolz gemacht", sagte Regragui, den seine Spieler wie schon nach dem Achtelfinal-Coup gegen Spanien übermütig in die Luft warfen.

Für seine Mannschaft geht damit die Traumreise weiter und es winkt sogar das große Finale am 18. Dezember in Lusail: Dafür müssen sich die Marokkaner am Mittwoch (20.00 Uhr MEZ) gegen Titelverteidiger Frankreich durchsetzen. Das Team löste nicht nur Riesenjubel unter den 44.198 meist marokkanischen Zuschauern im Stadion aus, sondern auch in vielen Teilen der afrikanischen und arabischen Welt.

"Das war kein leichtes Spiel, aber wir haben es sehr gut gemacht. Ich kann nur das Gleiche sagen wie schon nach den letzten beiden Spielen: Das ist ein großer Erfolg für die Mannschaft und das ganze Land", sagte Mittelfeldspieler Bilal El Khannous. "Der Trainer hat in der Halbzeit nicht gesagt: Hoffentlich halten wir noch 45 Minuten durch. Sondern: Es sind nur noch 45 Minuten, um Geschichte zu schreiben."

In einem leidenschaftlichen Abwehrkampf brachten die Marokkaner die Führung durch Youssef En-Nesyri (42.) über die Runden. In dem Tollhaus feierten Marokkos Fans jeden Befreiungsschlag. Der eingewechselte Walid Cheddira sah in der hektischen Schlussphase noch die Gelb-Rote Karte (93.).

Marokko war als vierte afrikanische Mannschaft nach Kamerun 1990, Senegal 2002 und Ghana 2010 ins WM-Viertelfinale vorgestoßen und überstand als einzige auch diese Runde. Die Marokkaner konnten ihr Glück und ihren dicken Eintrag in die WM-Geschichte kaum fassen. "Afrika ist heute wieder auf der Landkarte des Fußballs", sagte Regragui. "Wir hatten die Mentalität, haben unser Kapital genutzt. Wir wussten, wir können Geschichte für Afrika schreiben. Ich bin sehr glücklich." Abdelhamid Sabiri ergänzte: "Es ist ein unbeschreibliches Gefühl."

"Wir werden uns erholen und uns auf das vorbereiten, was kommt, damit wir es mit der gleichen Energie angehen können", sagte Marokkos erneut ganz starker Torhüter Yassine Bounou vom FC Sevilla. "Alle Spieler haben eine brillante Leistung gezeigt. Wir hatten Verletzungen, aber wir haben eine unglaubliche Leistung gezeigt." Strahlend fügte er bei der Pressekonferenz noch hinzu: "Zwick mich, ich glaube, ich träume."

In Marokko selbst brachen unterdessen alle Dämme. Die Fans strömten auf die Straßen und feierten in Rabat in den zahlreichen Cafés, wo sie das Spiel verfolgt hatten. Die Siegesparty wurde aber auch in zahlreichen anderen Ländern des afrikanischen Kontinents abgehalten.