Der Marktwert von Jonathan David wird mit 50 Millionen Euro etwa gleich hoch eingestuft wie der gesamte Kader des SK Sturm. Und der Kanadier hat im Trikot von Lille im Achtelfinal-Hinspiel der Conference League in Graz bewiesen, warum das der Fall ist. Der 24-Jährige stellte sich als ständiger und nicht zu verteidigender Gefahrenherd vor. Beim 3:0-Sieg von Lille steuerte der Angreifer das 1:0 (28., nach Stanglpass von Bouaddi) und 2:0 (51., Abstauber nach Lattenschuss von Haraldsson) bei. Es blieb „nur“ beim Doppelpack, da Sturm-Torhüter Vitezslav Jaros mehrmals glänzend parierte. Nur Edon Zhegrova bezwang den Tschechen mit einem Traumtor zum Endstand (71.).

Den ersten Rückschlag gab es schon vor dem Anpfiff. Alexander Prass musste verletzungsbedingt passen. Der aufopferungsvoll und aggressiv gegen den Ball kämpfende Linksfuß fehlte den Schwarz-Weißen an allen Ecken und Enden. Das Positionsspiel des Tabellen-Vierten in der Ligue 1, bei dem der erst 16-jährige Ayyoub Bouaddi im zentralen Mittelfeld eine sensationelle Vorstellung ablieferte, ließ die Grazer lange Zeit wie Statisten aussehen. „Wir waren nicht scharf genug gegen den Ball und haben uns in der ersten Hälfte zu wenig zugetraut“, sagte David Affengruber.

Dabei hätte Sturm bei strömendem Regen mit der ersten Torchance beinahe den Ausgleich zum 1:1 erzielt. Manprit Sarkaria scheiterte nach Idealvorbereitung von Tomi Horvat an Lille-Torhüter Lucas Chevalier (37.). Besonders bitter: Der ÖFB-Teamspieler zog sich bei dieser Aktion einen Knöchelbruch zu und fällt lange aus. Für Sarkaria kam William Böving ins Spiel. Und der Däne hätte seinem Spitznamen „Europacup-Willi“ in der 61. Spielminute alle Ehre machen können. Nach einer Soloaktion von Otar Kiteishvili, die der Georgier mit einem Schlenzer an die Querlatte abschloss, jagte Böving den Abpraller vor 13.825 Fans in den Grazer Nachthimmel. In der Schlussphase sorgten auch noch die Joker Szymon Wlodarczyk und Kapitän Stefan Hierländer für etwas Sturm-Gefahr. Doch es blieb beim 3:0 für Lille, das auch in dieser Höhe nicht unverdient war. Es handelte sich um die erste Pflichtspielniederlage für Sturm in diesem Jahr.

„Im Fußball ist schon viel passiert“

„Wir haben gewusst, dass Sturm sehr aggressiv und kompakt auftritt. Wir haben es geschafft, oft über die Flügel zu spielen. Das war der Schlüssel“, sagte Matchwinner David und übte trotz seines Doppelpacks Selbstkritik: „Ich habe leider einige Chancen ausgelassen. Das will ich im Rückspiel besser machen.“ Eine Ankündigung, die für die Partie in Lille am Donnerstag nichts Gutes verheißt. So viel darf man wohl vorwegnehmen: Die Grazer werden dort ihre Abschiedsvorstellung in dieser Europacup-Saison geben, auch wenn Hierländer noch lange nicht aufgibt: „Im Fußball ist schon viel passiert. Wir müssen uns steigern und schauen, ob es einen Fußballgott gibt.“

Davor gastiert die Mannschaft von Trainer Christian Ilzer am Sonntag zum Abschluss des Bundesliga-Grunddurchgangs in Hartberg. Dann ist Sturm auf dem Papier wieder der Goliath. Von David haben die Steirer nach diesem Europacup-Abend aber ohnehin genug.