Hand aufs Herz: Gefällt es in Salzburg, dass die Meisterschaft heuer spannender ist als normal? Oder dürfte es durchaus früher entschieden sein – natürlich zu ihren Gunsten?
CHRISTOPH FREUND: Grundsätzlich schreibt jede Saison ihre eigenen Geschichten. Und in dieser ist es eben so, dass Sturm sehr konstant spielt und das auf hohem Level durchzieht. Dabei haben wir wieder eine richtig gute Punkteausbeute. Aber auch dank der Punkteteilung ist Graz nur drei Punkte hinter uns. Es ist sehr spannend. Klar, ich wäre auch sehr gerne schon vier, fünf Runden vor Schluss als Meister festgestanden. Jetzt freuen wir uns auf ein absolutes Topspiel am kommenden Sonntag.

Wenn Sie Sturm ansprechen: Wie verfolgt Salzburg denn die Entwicklung in der Steiermark?
Es ringt mir großen Respekt ab, wie sie die Entwicklung in den vergangenen Jahren konstant vorangetrieben haben und diese Saison auch durchziehen. Sie haben ihre Leistung mit dem Cup-Titel gekrönt und auch international wirklich starke Auftritte hingelegt.

Sturm ist die Mannschaft in Österreich, die den Salzburger Weg vielleicht am besten – auf seine Weise – kopiert. Wie sieht man das, dass der eigene Weg nachgemacht wird?
Wir sind in erster Linie happy, dass wir unseren Weg gefunden haben. Diesen Weg gehen wir seit zehn Jahren und das richtig konsequent. In der Anfangszeit war das nicht einfach, da mussten wir viele Mauern durchbrechen. Es war kein Selbstläufer. Aber es ist für die Bundesligavereine sicher ein interessanter Weg, eine eigene Spielphilosophie zu haben und diese auch mit jungen Talenten durchzuziehen.

Weil?
Weil es schwierig ist, die besten Spieler ins Land zu bekommen. Wenn die mit 26, 27 Jahren absolute Topklasse haben, sind sie nicht mehr finanzierbar. Aber es gibt die Chance, richtig gute junge Spieler zu holen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich hier auch auf internationaler Bühne zu präsentieren.

Sie meinten einst, dass es die wahre Herausforderung in Salzburg sei, den dauernden Umbruch zu bewältigen – auch diesen Sommer werden einige gehen. Die Herausforderung ist also bleibend?
Ja, das ist Herausforderung und zugleich der Reiz. Mir taugt das richtig. Ich freue mich immer auf die neue Saison, auch mit neuen Spielern und einer neuen Struktur in der Mannschaft. Es ist immer spannend, wie gut der Umbau im Sommer funktioniert – eine coole Geschichte.

Doch hatte man heuer den Eindruck, dass die "Maschine Salzburg" stotterte. Stimmt der?
Wir spielen eine sehr gute und konstante Saison, hatten erst zweimal in den letzten zehn Jahren einen höheren Punkteschnitt. Aber wir hatten heuer wirklich viele Verletzte, konnten selten mit der bestmöglichen Elf auflaufen. Ich fand es insgesamt sehr stark, wie die Truppe das gemeistert hat, obwohl einiges an Kritik auf sie eingeprasselt ist. Dadurch hat sich aber auch eine gewisse Energie entwickelt.

Einmal fanden Sie selbst scharfe Worte. Oder wurde Ihre "Brandrede" in der Kabine nach dem 3:3 gegen die Austria vor einem Monat missverstanden?
Das wurde überinterpretiert. Ich spreche ja öfter zur Mannschaft. Es gibt eben Phasen, wo man das Gefühl hat, gewisse Dinge sagen zu müssen. Aber noch einmal: Wir sind nicht immer einfach durchmarschiert in den vergangenen zehn Jahren. In der Saison 2019/20 waren wir im Grunddurchgang sogar einmal sechs Punkte hinten.

Und doch gilt der Titel für Salzburg als selbstverständlich ...
Für uns selbst war es das nie. Am Ende waren wir zwar immer recht weit vorne, aus dem heraus entsteht dann in der Öffentlichkeit manchmal das Gefühl der Selbstverständlichkeit. Nur ist das eben nicht so, auch heuer nicht. Diesmal wird es nur anders wahrgenommen, weil es Sturm einfach sehr gut macht.

Ist die Erwartungshaltung, es immer wie selbstverständlich zu schaffen, Fluch des Erfolgs?
Nein, das ist sicher kein Fluch, sondern das schönste Kompliment! Es ist eine Auszeichnung, dass es für viele ganz normal ist, dass wir wie selbstverständlich vorne sind. Aber ich weiß eben, dass dem nicht so ist.

Zurück zum Umbruch: Im Sommer steht der nächste bevor ...
Bis jetzt sind es zwei Spieler, deren Abgang feststeht (Seiwald und (S)e(s)ko gehen zu Leipzig, Anm.) Es ist also noch nicht klar, wie groß der Umbruch wirklich sein wird, das dauert noch, bis wir das wissen.

Salzburg produziert aber scheinbar ohnehin Talente wie am Fließband, oder?
Wie am Fließband ... Das ist letztlich die Arbeit, die wir über die ganze Saison leisten. Diese Talente immer wieder finden, entwickeln und in den Kader einbauen. Das ist die coole Herausforderung, welche es so spannend macht.

In dieser Saison standen auch Sie knapp davor, zu gehen. Chelsea war interessiert. Ist das alles abgehakt? Oder lockt eine neue Herausforderung?
Das ist abgehakt, ja. Ich habe damals schon gesagt, dass ich mich sehr, sehr wohlfühle in Salzburg. Diese Sache war aber schon ein sehr spezielles Angebot. Seither habe ich mich aber mit nichts anderem beschäftigt als mit Red Bull Salzburg.

Auch bei Sturm sind mit Affengruber, Gazibegovic oder Prass einige dabei, die Salzburger Akademie-Vergangenheit haben. Wie sehen Sie das?
Sie haben bei uns eine sehr gute Ausbildung erhalten und sich dann in Graz top weiterentwickelt – das sind wirklich richtig gute Jungs geworden. Sturm macht da eine tolle Arbeit. Ich freue mich sehr für die Burschen, dass sie so eine super Entwicklung und Karriere hinlegen.

Sturm hat diese Saison Salzburg lange Paroli geboten, erst das bisher letzte Duell in Graz verloren. Was erwarten Sie am Sonntag für ein Spiel?
Wir werden ein intensives Spiel mit zwei Mannschaften sehen, die von Intensität und Leidenschaft leben. Es wird viele Zweikämpfe geben, zudem stehen viele richtig gute Fußballer auf dem Platz. Es wird ein absolutes Topspiel, dass es in der Bundesliga nicht so oft so gibt, da bin ich mir sicher. Und: Eine Mannschaft kann Meister werden ...

Das wäre Salzburg – Sie gehen also logischerweise von einem Sieg aus, oder?
Wir gehen nicht davon aus, das wäre unangemessen. Klar ist: Wir werden alles dafür tun und geben, zu gewinnen. Aber wie es ausgeht? Das sehen wir dann.

Wie sehen Sie die gesamte Entwicklung der Liga?
Sie ist auf gutem Weg. Die Akademien arbeiten gut, das Level ist sukzessive gestiegen. Wir sollten uns grundsätzlich nicht kleiner machen, als wir sind. Wir machen es auch international sehr ordentlich. Zudem sorgt das neue System mit der Meister- und Qualifikationsgruppe für richtige Spannungsbögen. Überall geht es um viel, auch das tut dem Fußball gut. Dadurch wird das Gesamtpaket immer besser: Wir haben mittlerweile viele richtig gute Stadien, da kommen die Leute lieber – und das macht das Produkt wiederum im Fernsehen attraktiver.

Abschließend: Man spricht immer vom "Red-Bull-Fußball". Aber auch der entwickelt ist. Wohin geht die Reise?
Es gibt da ja verschiedene Ansätze: Ballbesitzmannschaften, die erfolgreich sind, aber auch Umschaltmannschaften. Grundsätzlich ist der Fußball in den letzten 15 Jahren immer athletischer und schneller geworden. Es wird spannend sein, zu sehen, wer neue Ansätze bringt, wer welche neuen Nuancen findet. Aber, wie sich dann auch bei Partien wie Manchester City gegen Real zeigt: Letztlich geht es immer auch um die Qualität der Einzelspieler. Um jene, die den Unterschied machen.