Seit 5. September wartet die Schachwelt auf ein klares Statement – jetzt hat der Weltmeister gesprochen. Auf Twitter tat Magnus Carlsen seine Meinung kund, beschuldigte den 19-jährigen Amerikaner Hans Niemann, öfter geschummelt zu haben, als er es bisher zugegeben hat. "Wir müssen etwas gegen Schummeln tun. Ich möchte nicht gegen Spieler spielen, die in der Vergangenheit wiederholt geschummelt haben, weil ich nicht weiß, wozu sie in der Zukunft fähig sind", schreibt Carlsen und stellt damit klar: Gegen Niemann spielt er nicht mehr.

Was ist passiert? Am 4. September verlor Carlsen mit Weiß gegen Niemann beim Sinquefieldcup – die erste Niederlage nach 53 Partien – und stieg am Tag darauf aus dem Turnier aus. Dazu ließ er Jose Mourinho sprechen: „Ich bevorzuge nicht zu sprechen. Wenn ich spreche, bin ich in großen Schwierigkeiten. Und ich möchte nicht in großen Schwierigkeiten sein.“

Kaum war das Video gepostet, spekulierte die Schachwelt über den Schummler Hans Niemann. Die kurioseste Theorie lieferte der kanadische Großmeister Eric Hansen: Analperlen sollen Niemann geholfen haben. Carlsen beendete die Spekulationen nicht, sondern heizte weiter an, als er beim jüngsten Onlineturnier seine Partie gegen Niemann nach nur einem Zug aufgegeben hat.

„Gerüchte, dass er schummelt gibt es schon länger“, sagt Markus Ragger, Österreichs bester Schachspieler. Im Rahmen einer Runde der deutschen Bundesliga hätte er erstmals davon gehört. Der große Elo-Sprung nach der Coronapause ist jedenfalls Grund misstrauisch zu sein. „Er ist ohne Zweifel ein Talent, aber nicht das größte in seiner Altersklasse. Jetzt spielt er 260 Partien, gewinnt permanent dazu und hat 2700 Elo.“ Gewöhnlich wäre ab einem gewissen Alter ein linearer Elozugewinn. „Der späte Elosprung – gefühlt ungewöhnlich“, sagt Ragger. „Seine Entwicklung am Brett ist ungewöhnlich“, schreibt auch Carlsen und bemüht damit die gleiche Argumentation wie Ragger.

Herausragende Performance

Dass Niemanns Performance bei den jüngsten Turnieren herausragend ist, steht außer Zweifel. Einen Betrug beweist das aber noch nicht – und den kann auch Carlsen noch nicht nachweisen. Viel mehr verlässt er sich in seinem ersten Statement auf sein Gefühl: Niemann sei bei seinem Schwarzsieg in St. Louis gegen Carlsen „nicht angespannt und noch nicht einmal voll konzentriert auf das Spiel in kritischen Positionen“ gewesen, „während er mich mit Schwarz auf eine Weise ausspielte, wie es meiner Meinung nach nur eine Handvoll Spieler können“.

Schon vor Carlsens Statement war für Ragger klar: „Der Weltmeister hat noch was in der Hinterhand.“ Auch diese Vermutung bestätigt Carlsen in seinem Posting: „Ich würde gerne mehr sagen. Leider kann ich nicht offen sprechen, ohne expliziter Erlaubnis von Niemann.“ Womit – um im Schachjargon zu bleiben – der Amerikaner am Zug ist. Oder der Ethikrat des Welt-Schachverbandes FIDE, der längst ermittelt.

Die Schachwelt jedenfalls ist weiter gespalten: Betrügt Niemann? Oder irrt sich Carlsen? Auffällig ist: Die Besten der Welt sehen es wie Carlsen.