Man nennt Sie "Mister Wahl", Sie waren bei der Durchführung unzähliger Wahlen im Land mit dabei und Sie sind selbst seit vielen Jahren SPÖ-Mitglied. Wie haben Sie das Wahldebakel Ihrer Partei erlebt?

Robert Stein: Es hat mich ehrlich gesagt fassungslos gemacht. Ich war selbst bei unzähligen SPÖ-Wahlen in den jeweiligen Kommissionen dabei, oft mit deutlich mehr Stimmen, die damals ausgezählt werden mussten. Die beim Parteitag abgegebenen 600 Stimmen wären dagegen nun wirklich eine bewältigbare Aufgabe gewesen.

Die SPÖ-Wahlkommission beteuert nun, man habe sehr wohl richtig ausgezählt, auch die verloren geglaubte Stimme sei im Anschluss gefunden worden. Der fatale Fehler sei hingegen erst beim Eintrag in die Excel-Liste passiert. Wie kann das sein?

Ich selbst war zwar nicht bei der Auszählung dabei, aber das hätte schon auffallen müssen. Eigentlich werden die Stimmen ja aus allen Urnen auf einen großen Haufen ausgeleert, unter Beobachtung der Kommission vorsortiert, gezählt, von anderen erneut gezählt und zuerst in Zehner- und dann in Hunderter-Packerl sortiert. Und eine Diskrepanz von mehr als 30 Stimmen zwischen den beiden Kandidaten-Stapeln sieht man da mit freiem Auge. Das hätte jedem vor Ort sofort auffallen müssen.

Wie kann das der Wahlkommission dann trotzdem entgangen sein?

Eben das erschließt sich mir nicht, denn eigentlich ist es alternativlos, dass sich jedes einzelne Mitglied der Wahlkommission selbst davon überzeugt, dass die Stimmen richtig ausgezählt und dann korrekt in das Excel-Programm eingetragen wurden. Dafür wäre auch genug Zeit gewesen, die Auszählung von so wenigen Stimmen dauert um die 45 Minuten, maximal eine Stunde. Und außerdem müssten ja jene, die hier am Samstag ausgezählt haben, schon viele Wahlen erlebt haben, in der Wahlkommission sitzen auch halbe Profis. Und das Ritual ist ja immer dasselbe.

Auch wenn die Kommission nun beteuert, dass die Auszählung korrekt abgelaufen sei, bleiben für viele Zweifel. Hätte man die Wahl wiederholen müssen?

Das ist die Entscheidung der Parteispitze. Aber die Kommission hätte auch eigene Erinnerungen oder Aufzeichnungen vorlegen können, um den Vorgang zu entmystifizieren und so Verschwörungstheorien zu begegnen. Nach dem Motto: Ja, es war patschert, aber die Zahlen stimmen.

Sie haben 2018 die Kampfabstimmung in der Wiener SPÖ zwischen Kandidat Andreas Schieder und dem späteren Sieger Michael Ludwig vor Ort miterlebt. Warum gab es damals keine Zweifel am Ergebnis?

Der Nationalratsabgeordnete Kai Jan Krainer war damals Vorsitzender der Wahlkommission und hat das Ganze effizient, hochprofessionell und in einer Stunde auszählen lassen. Es wurde damals erfreulicherweise derart streng überwacht, dass es im Anschluss weder am Ergebnis noch an der Methode je einen Zweifel gab. Und damals hatte man um die 1000 Stimmen auszuzählen.

War die damalige Genauigkeit bei der Auszählung also nur eine Ausnahme?

Nein, denn die SPÖ hat seit jeher großen Wert auf korrekt durchgeführte Wahlen gelegt, sogar in den kleinen Vorfeldorganisationen. Dass es gerade bei einer so wichtigen Wahl anders kam, schockiert mich.