Der Fall der verstorbenen oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr hat gezeigt, wozu Hass im Netz führen kann. Wie schwierig ist es, sich als Betroffene oder als Betroffener in diesem Land dagegen zur Wehr zu setzen?
Maria Windhager: Das kann nie pauschal beantwortet werden, weil es immer um den konkreten Einzelfall geht. Grundsätzlich gibt es hier sehr viele, auch rechtliche Möglichkeiten, es handelt sich aber um eine schwierige Querschnittsmaterie, die nur wenige beherrschen. Die praktische Durchsetzung erfordert sehr viel Durchhaltevermögen und auch finanzielle Mittel. Manche Fälle sind aber trotz erheblicher Anstrengungen nicht lösbar. Das kann auch sehr frustrierend sein.

Melden sich deshalb so wenige Opfer und gehen juristisch gegen Hass im Netz vor? Zahlen aus dem Justizministerium zeigen, dass die entsprechenden Rechtsmittel kaum genutzt werden.
Die Hürden sind noch immer sehr hoch. Ich verstehe, dass sich viele den Aufwand nicht antun wollen. Es bräuchte mehr kostenlose Unterstützung, dafür fehlt es aber an allen Ecken und Enden an Know-how. Das Mandatsverfahren, das keine anwaltliche Vertretung erfordert, wird beispielsweise kaum genutzt.

Liegt das auch an fehlendem Wissen – das Justizministerium hat hier eine Informationskampagne angekündigt – oder eher am Aufwand, gegen jemanden vorzugehen, den man in den meisten Fällen gar nicht persönlich kennt?
Ja, ich halte das fehlende Praxiswissen, das eine Spezialisierung und viel Erfahrung erfordert, für das zentrale Problem. Dazu kommen mangelndes Engagement und eine weitreichende Verkennung der Problematik. Die Behörden agieren nach wie vor viel zu lasch und nutzen ihre Möglichkeiten nicht annähernd aus. Das hat der Fall von Frau Doktor Kellermayr besonders deutlich gezeigt.

Wie erleben Opfer, die gegen Hass im Netz vorgehen, den juristischen Prozess?
Anstrengend. Es ist eine große Herausforderung und setzt eine hohe Bereitschaft voraus, sich generell mit der sehr komplexen Problematik zu befassen. Die meisten wollen einfach nur ihre Ruhe haben.

Sie sind eine der wenigen Anwältinnen im Land, die Hass im Netz Fälle überhaupt übernehmen. Wie erklären Sie sich das?
Ganz einfach: Der Aufwand steht in keiner Relation zum Verdienst. Der Teufel steckt hier oft im Detail, das tun sich viele vor vornherein nicht an.

Sie haben auch Ex-Grünen-Chefin Eva Glawischnig im Konflikt mit Facebook und die aktuelle Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer in der Causa Bierwirt vertreten – und damit Personen, die in der Öffentlichkeit stehen. Gestaltet sich das Vorgehen dann anders als bei "normalen" Klientinnen und Klienten?
Ja, denn beide haben einen hochprofessionellen Zugang zu den Problemen. Sie sind Vorbilder und Pionierinnen, die Betroffenen, vor allem auch anderen Frauen, den Weg ebnen wollen. Ihre Bereitschaft, Musterverfahren zu führen, ist von zentraler Bedeutung für die Entwicklung der Rechtsprechung. Danke dafür!

Wie schwer ist es, an entsprechende Daten über die Menschen hinter den Kommentaren zu kommen? Telegram und Twitter verweigern ja die Herausgabe.
Sehr unterschiedlich. In vielen Fällen wird ja Rechtswidriges ohnehin unter dem Klarnamen gepostet. Manche lassen sich ausforschen, bei manchen steht man an. Da hilft dann nur mehr das Belangen des Plattformbetreibers, um Ansprüche durchzusetzen.

Wie viel Aufholbedarf sehen Sie bei den Polizeibehörden bei der Ermittlung solcher Daten?
Aufholbedarf ist fast untertrieben. Die Polizeibehörden stehen meinem Erachten nach überhaupt erst am Anfang, da ist noch sehr viel Luft nach oben. Vor allem, was das Verständnis für die Probleme und das Tempo anbelangt.