Geheimdienste arbeiten in der Regel im Geheimen. In den Fokus der Öffentlichkeit geraten sie, wenn etwas richtig schiefgeht: Ein Terroranschlag, der verhindert hätte werden können, festgenommene Spione – oder der Verdacht filmreifer Ausmaße an Staatsverrat.

Letzteres beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft Wien, berichtete als erstes "Presse". In einem hunderte Seiten langen Akt wird der Verdacht beschrieben, dass drei ehemalige Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) Staatsgeheimnisse verrieten und die Republik zum Narren hielten.

Drei Männer gegen den Verfassungsschutz

Im Zentrum der Ermittlungen steht Egisto Ott. Der frühere verdeckte Ermittler soll gemeinsam mit einem früheren Abteilungsleiter und einem ehemaligen IT-Techniker des BVT ein Netzwerk aufgebaut haben, das geheime Informationen und Falschnachrichten nach außen trug. Vier Ex-Beamte des BVT sind laut "Kurier" wegen Vorwürfen von Amtsmissbrauch bis Spionage bereits suspendiert. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.

Bereits im November 2017 hatte der damalige BVT-Direktor Peter Gridling seinen damaligen Mitarbeiter Ott angezeigt, weil der geheime Dokumente erst an seinen privaten Mail-Account und dann an Russland weitergegeben haben soll. Ersteres bestätigte der Ex-Spion 2019 in einem Interview mit dem Online-Medium "ZackZack". Eine Weiterleitung an Moskau wies er aber zurück. Generell hieß es aus westlichen Partnerdiensten schon länger, dass Informationen von Wien rasch ihren Weg nach Moskau finden würden.

Geheimdienstliche Arbeit für Jan Marsalek

Eine Rolle könnte dabei auch der flüchtige Wirecard-Vorstand Jan Marsalek gespielt haben, dessen aktueller Aufenthaltsort in Russland vermutet wird. Ein Mitglied des Trios, ein früherer Abteilungsleiter des BVT, heuerte 2017 bei Marsalek an. Er soll dem mutmaßlichen Wirtschaftskriminellen 2020 gemeinsam mit dem Ex-FPÖ-Abgeordneten Thomas Schellenbacher zur Flucht verholfen haben, berichtet "die Presse". Nach seiner Verhaftung zeigte sich der vormals ranghohe Spion laut "Presse" redefreudig und beschuldigte den Rest des Trios schwer.

Denn schon vor dessen Flucht dürfte das Netzwerk rund um Ott mit und für Marsalek gearbeitet haben. So ermittelte das Bundeskriminalamt laut "Presse" eine Liste aus 309 Personen, die das Trio polizeilich abgeklärt haben könnte. Bei einigen Namen sollen die Ermittler direkten Bezug zu Wirecard orten.

Dabei dürften die drei mutmaßlich korrupten Ex-Staatsschützer nicht alleine gehandelt haben, ihnen wurden Zugriffsberechtigungen zu Polizeicomputern laut "Presse" großteils entzogen. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass noch nicht alle Leaks im Geheimdienst gefunden wurden.

Das Gift des Diplomaten

Eine mögliche undichte Stelle haben die Ermittler identifiziert: Über den früheren Generalsekretär im Außenministerium, Johannes Peterlik, soll die streng geheime Formel des russischen Nervengifts Nowitschok ihren Weg zu Marsalek gefunden haben. Der Diplomat Peterlik soll sich laut "Presse" vermehrt der Dienste des Trios bedient haben – etwa um sich einen Waffenpass zu organisieren.

Gemeinsam mit Ott soll auch ein eigener Geheimdienst im Außenministerium in Planung gewesen sein. Auf dem Smartphone von Ott fand sich laut "Presse" ein Organigramm der neuen Organisation. Viele der darauf vermerkten Namen sollen aus der BVT-Affäre bekannt sein.

Vom BVT über Ibiza zum "roten Gsindl"

Kein Wunder, stellte das Trio doch laut "Presse" selbst die Hauptbelastungszeugen, die Korruptionsstaatsanwältin Ursula Schmudermayer zur Hausdurchsuchung im BVT veranlasste. Eine weitere Zeugin, deren Vorwürfe sich mittlerweile fast vollständig als falsch erwiesen haben: Ursula Peterlik, Johannes Peterliks Frau.

Auch in jüngere Skandale ist das Trio verwickelt: So sollen die Ex-Verfassungsschützer laut "Presse" nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos mit anonymen Anzeigen Stimmung gegen die Sonderkommission Tape gemacht haben.

Eine andere Causa lösten die früheren BVT-Beamten im Alleingang aus: Das Handy des ehemaligen Kabinettschefs im Innenministerium, Michael Kloibmüller, soll 2017 dem IT-Techniker des Trios überreicht worden sein. Statt Daten zu retten, soll er sie gestohlen haben. Chats auf dem Gerät ("Rote bleiben Gsindl") sorgen nun für Aufregung.

Bunte Kontakte

Die mutmaßlich abgesaugten Nachrichten erschienen zuerst beim Online-Medium "Zackzack". Dessen Herausgeber Peter Pilz war mit Ott in Chatgruppen, weist aber einen möglichen Zusammenhang zurück.

Laut "Kurier" soll sich Pilz aber bei Ott im November 2020 erkundigt haben, ob der Attentäter des Terroranschlags von Wien vielleicht ein V-Mann der Verfassungsschützer gewesen sei. Am 29. November 2020 antwortete Ott erneut unter dem Decknamen Aigistos, Aigistos: "Lieber Peter. Habe mit mehreren Personen gesprochen. Vom LVT Wien sicher nicht als V geführt. BVT auch unwahrscheinlich. Lg Eg."

Auch Neos-Abgeordneter Helmuth Brandstätter stand mit Ott in Kontakt. Brandstätter betont aber, von Ott "null Informationen" bekommen zu haben.

Politischer "Endpreis"

Eine besondere Nähe zu Ott hatte laut "Presse" der Ex-FPÖ Abgeordnete und Fraktionsführer im BVT-Untersuchungsausschuss Hans-Jörg Jenewein. Er wird von der Staatsanwaltschaft auch verdächtigt, Geld für Informationen gezahlt zu haben. Im September 2021 wurde daher die Wohnung des früheren Abgeordneten durchsucht.

In einem Chat aus September 2019 soll Jenewein laut "Presse" an Ott geschrieben haben, er müsse sich "noch das Ok für die 50 holen". Ott darauf: "Endpreis bekommen wir aber erst". Jenewein habe Ott zu keinen Straftaten bestimmt, es sei "zu keinem Zeitpunkt zu Geldflüssen" zwischen den beiden gekommen, betonte Jeneweins Anwalt.

Wie der Kurier berichtet, tauschten sich Jenewein und Ott im Dezember 2018 auch darüber aus, wie man dem BVT-U-Ausschuss fernbleiben könnte:

Jenewein: "Ich habe grad durch Indiskretion gehört, dass Pilz & Krainer U. (der Name ist von der Redaktion abgekürzt, Anm.) nochmals laden wollen. Ist Minderheitenrecht, wir können das nicht verhindern. Mein Vorschlag: HEUTE noch einen Urlaub für Mitte Jänner buchen."

Ott antwortet: "Wenn sie eine Flugbuchung von 15. 1. bis 30. 1. für z. B. USA oder Karibik hat, dann ist das gelaufen ... (Buchung muss sein – kann man ja stornieren). Muss aber zwingend heute sein – morgen wollen die Roten das einbringen. Ab dem Zeitpunkt würde es nicht mehr gelten."