Das Ge­setz pas­sier­te ohne große me­dia­le Re­so­nanz das Par­la­ment, noch dazu ein­stim­mig – und trägt die Un­ter­schrift von Bun­des­prä­si­dent Karl Ren­ner (SPÖ), Bun­des­kanz­ler Leo­pold Figl (ÖVP) und Ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl Maisel (SPÖ). Nur zwei Zei­tun­gen be­rich­te­ten da­mals dar­über, De­mons­tra­tio­nen gab es keine.

Die Rede ist von der Impf­pflicht gegen Po­cken (Blat­tern, Va­rio­la), die 1948 in Ös­ter­reich ein­ge­führt wurde. Wer sich dem Vor­ha­ben wi­der­setz­te, muss­te eine Ver­wal­tungs­stra­fe bis zu 1000 Schil­ling be­zah­len oder bis zu 14 Tage Ar­rest an­tre­ten. Glei­ches galt für El­tern, die ihre Kin­der nicht imp­fen las­sen woll­ten. Als die WHO die Welt für po­cken­frei er­klär­te, wurde diese 1980 auf­ge­ho­ben – das Ge­setz trägt die Un­ter­schrift von Bun­des­prä­si­dent Ru­dolf Kirch­schlä­ger, Kanz­ler Bruno Kreis­ky, Ge­sund­heits­mi­nis­ter Her­bert Sal­cher.

Vol­taire. Kul­tur­his­to­risch ist die Impfskep­sis kein Phä­no­men un­se­rer Zeit. Von Vol­taire, dem gro­ßen Phi­lo­so­phen der fran­zö­si­schen Auf­klä­rung, ist ein Text er­hal­ten, der einen Kul­tur­kampf rund um die Po­cken be­schreibt. Die hat­ten im Eu­ro­pa des 18. Jahr­hun­derts die Pest als ge­fähr­lichs­te Krank­heit ab­ge­löst, 400.000 Men­schen star­ben jedes Jahr daran. Wer über­leb­te, trug – wie Haydn, Mo­zart, Beet­ho­ven, Goe­the – nicht sel­ten häss­li­che Nar­ben davon.

Vol­taire, der von 1726 bis 1728 im eng­li­schen Exil lebte, lern­te dort nicht nur das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem, die in­dus­tri­el­le Re­vo­lu­ti­on und die Theo­ri­en des Phy­si­kers Isaac New­ton be­wun­dern, son­dern auch ein frü­hes Impf­ver­fah­ren des eng­li­schen Adels: Der steck­te sich, seine Kin­der und sein Ge­sin­de ge­zielt mit ab­klin­gen­den Po­cken an, in der Hoff­nung auf einen kon­trol­lier­ten, mil­de­ren Krank­heits­ver­lauf. Me­tho­de: eine in Po­cken­pus­teln ge­tauch­te Lan­zet­te und ein auf­ge­ritz­ter Arm. „Diese Pus­tel wirkt in dem Arm, an dem sie an­ge­setzt ist, wie Hefe im Teig“, schrieb Vol­taire, „sie ar­bei­tet dort und ver­teilt über das ganze Blut die Ei­gen­schaf­ten, von denen sie durch­setzt ist.“

Ihm zu­fol­ge ging der auch Va­rio­la­ti­on ge­nann­te Brauch auf die Tscher­kes­sen zu­rück, die ihre Töch­ter impf­ten, um sie nar­ben­los und ge­winn­träch­tig an Ha­rems ver­kau­fen zu kön­nen. Dort er­leb­te die Frau eines eng­li­schen Han­dels­rei­sen­den die Me­tho­de und be­geis­ter­te die Prin­zes­sin von Wales dafür. Diese ließ die fremd­län­di­sche Me­tho­de an vier zum Tode ver­ur­teil­ten Ver­bre­chern tes­ten, „denen sie zwei­fach das Leben ret­te­te“, wie Vol­taire fol­gert: Die Män­ner ent­ka­men dem Gal­gen und dem Po­ck­en­tod. An­ders­wo in Eu­ro­pa hielt man die impfaf­fi­nen Eng­län­der für „Nar­ren“ und „Toll­köp­fe“.

Kant. Auch Im­ma­nu­el Kant ist zu ihren Skep­ti­kern zu zäh­len: Die „Po­ckeni­no­cu­la­ti­on“ sei wegen ihres Ri­si­kos nahe an der ethisch ver­werf­li­chen Selbst­tö­tung, be­fand er. Und über­leg­te gar, ob es recht sei, der „Vor­se­hung“, die über­mä­ßi­ges Be­völ­ke­rungs­wachs­tum durch Krieg und Po­cke­ne­pi­de­mi­en brem­se, durch Imp­fun­gen in den Arm zu fal­len.

Das Ri­si­ko der Schutz­imp­fung sank bald dra­ma­tisch. Näm­lich, als der bri­ti­sche Arzt Ed­ward Jen­ner (1749–1823) er­kann­te, dass auch eine An­ste­ckung mit den weit harm­lo­se­ren Kuh­po­cken gegen die ech­ten Po­cken im­mu­ni­sier­te. In sei­nen Ex­pe­ri­men­ten war auch er nicht zim­per­lich: Um seine An­nah­me be­stä­tigt zu sehen, in­fi­zier­te er 1796 den acht Jahre alten Sohn sei­nes Gärt­ners: erst mit Kuh­po­cken, dann mit ech­ten Po­cken. Ins­ge­samt 20-mal. Heute wäre das min­des­tens wie­der­hol­te schwe­re Kör­per­ver­let­zung. In Sa­chen Po­cken­schutz führ­te Jen­ners Me­tho­de zum Durch­bruch. Schon 1807 führ­te Bay­ern als welt­weit ers­tes Land eine Impf­pflicht ein.