Verfassungsjurist Heinz Mayer sprach heute im Ö1-Morgenjournal zu der Groteske rund um die Herausgabe von Daten des Finanzministeriums unter Gernot Blümel - allerdings erst nach einem Erkenntnis des VfGH. Er ortet eine Geringschätzung des Parlaments und bezeichnet das Verhalten von Bundeskanzler Sebastian Kurz als "sehr merkwürdig".

Blümel habe zunächst die Nicht-Herausgabe der Akten mit Daten- und Persönlichkeitsschutz begründet, so die Moderatorin. Die Akten, die gestern geliefert wurden, seien als geheim eingestuft. Setze Blümel da jetzt noch eins drauf? Der Befund von Heinz Mayer: „Ja, es schaut so aus.“ Es sei allerdings nicht überraschend, wenn man daran denke, dass „der Herr Finanzminister vor einigen Jahren in türkisen Socken durch das Parlament spaziert ist, dann zeigt das ja eine gewisse Geringschätzung des Parlaments, und die hat man sich offenbar erhalten.“

Zweifel an rechtsstaatlicher Gesinnung

Dass der VfGH eines seiner Erkenntnisse bei einem Bundesminister mit Hilfe des Bundespräsidenten durchsetzen müsse, beunruhige ihn als Verfassungsexperten sehr. „Denn Entscheidungen des VfGH sind von Staatsorganen auf Punkt und Beistrich unverzüglich umzusetzen. Und wenn das nicht passiert, lässt das an der rechtsstaatlichen Gesinnung des Betreffenden sehr zweifeln.“

Ein auf die Verfassung angelobter Bundesminister ignoriere das Erkenntnis des Höchstgerichts. Im Vorjahr habe Bundeskanzler Kurz Kritik von Juristen an Ausgangsbeschränkungen als „juristische Spitzfindigkeiten“ bezeichnet. Ob das ein legitimes Ausreizen der Verfassung wäre oder doch ein gewisses Zeichen von Respektlosigkeit einer Politikergeneration, so die Frage? „Zweiteres, würde ich sagen“, so Mayer, „denn Regierungsmitglieder sind nicht dazu da, die Möglichkeiten der Verfassung auszureizen, sondern sie zu befolgen, und zwar auf Punkt und Beistrich, ohne dass der Exekutor vor der Türe steht.

Ob so etwas die Institutionen des Staates beschädige würde, wie das denn beim Bürger ankäme? Das könne natürlich das Rechtsbewusstsein allgemein untergraben, wenn man sehe, dass auch ein Regierungsmitglied höchstgerichtliche Entscheidungen ignorieren könne oder zunächst einmal zeigen würde, dass er trotzdem mache was er wolle, dann würde das auf das Rechtsbewusstsein der Bürger natürlich möglicherweise abfärben. „Und das ist sicher ein ganz fatales Signal, das da gesendet wird.“

Es gehe im Ibiza-Untersuchungsausschuss um die Frage, ob die Regierung käuflich war. Wenn bei der Aufklärung der Frage ein ÖVP-geführtes Ministerium es derart darauf ankommen lasse, so die Moderatorin, könne der Bürger sich seinen Reim darauf machen. Ob das eine politische Tendenz erkennen lasse, die einem Sorgen machen müsse? "Durchaus", so Mayer, "das ist die Einstellung der türkisen Partei, dass sie über den staatlichen Institutionen steht." Die Äußerung des Bundeskanzlers über Kritik von Juristen an den Ausgangsbeschränkungen als "juristische Spitzfindigkeiten" würden das ganz deutlich zeigen.

Auch die Aussage des Kanzlers nach dem Misstrauensvotum, das die Regierung bekommen habe im Jahr 2019, das Parlament habe abgestimmt, aber das Volk würde entscheiden, zeige deutlich die Redeweise des Bürgerblocks am Ende der ersten Republik, nämlich das Lächerlichmachen des Parlaments: "Sozusagen die sind zweitrangig, die wirklichen Entscheidungen trifft eh das Volk."

Man könne, so die Moderatorin, ja aber andererseits auch sagen, dass die Verfassung das alles aushalte, was Bundespräsident Van der Bellen ja auch immer wieder betont habe. Ob es einen Punkt gäbe, wo man sagen könne, jetzt sei der Bogen überspannt. "Wenn alle Staatsorgane, die die Verfassung anzuwenden haben, sich einigen, dass sie die Verfassung nicht mehr ernst nehmen, dann nützt die beste Verfassung nichts." Davon sei man aber noch weit entfernt. "Aber wenn das Beispiel Schule macht, wenn wir ständig gezwungen sind, mit Exekutionen die Einhaltung verfassungsrechtlicher Verpflichtungen durchzusetzen, dann wird es schwierig."

Dass Bundespräsident Alexander van der Bellen gestern ganz aktiv an die Öffentlichkeit gegangen sei, sei ein ungewöhnlicher Schritt, aber auch die Situation sei ungewöhnlich, "und daher war der Schritt richtig". Ob die Aussage Van der Bellens, "an diese Regeln haben wir uns alle zu halten" auch als Wink in Richtung Bundeskanzler Sebastian Kurz zu verstehen war, der ja ebenfalls dem Ibiza-U-Ausschuss Akten vorlegen muss. Auch da musste der VfGH bereits eine Frist setzen, damit das Bundeskanzleramt liefert, Kurz habe dann argumentiert, alles Wesentliche würde veraktet, alles Unwesentliche vernichtet. Ob das eine neuerliche Provokation sei, so die Frage? Mayer: "Die Vorgangsweise des Bundeskanzlers ist mehr als merkwürdig, nämlich seine Mitarbeiter aufzufordern, zu bestätigen, dass keine Unterlagen vorhanden sind. Das ist auch ein Vorgang, den ich noch nie erlebt habe." Das zeige, dass keine hohe Bereitschaft bestünde, die Verfassung zu achten.