Österreich dürfte gegen Ende des zweiten Quartals innerhalb der EU beim Impffortschritt zurückfallen. Dies geht aus einem internen Dokument hervor, das Grundlage für die aktuellen Beratungen der EU-Botschafter über die Verteilung der vorgezogenen zehn Millionen Dosen von Biontech/Pfizer ist. Nach diesen Berechnungen würden in Österreich Ende Juni 50,92 Prozent der Bevölkerung gegen Corona geimpft sein. 21 EU-Staaten liegen dann in Sachen Impffortschritt vor Österreich.

Die Regierung berät sich heute mit den Intensivkoordinatoren der Länder, um sich einen Überblick über die aktuelle Lage zu verschaffen. Unmittelbare Maßnahmen aus dem Treffen dürfte es nicht geben. Es sei ein Treffen zwischen Spitalsvertretern aus allen neun Bundesländern, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober zur aktuellen Lage in Österreich, hieß es. Treffen dieser Art finden regelmäßig statt. Abgehalten wird dieser Gipfel via Videokonferenz.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner informierte heute über die aktuellen Entwicklungen der Corona-Entwicklung aus Sicht der SPÖ. Für Rendi-Wagner ist der Ost-Lockdown nur "der erste Schritt". Die Zahlen stiegen in allen Ländern, die Gesundheitsversorgung sei überall gefährdet, "das ist nur eine Frage von Wochen". Österreich sei in der Fläche zu klein, um zu große Unterschiede in der Virusbekämpfung zu machen.

Die SPÖ-Chefin forderte die Regierung auf, "endlich vom Beifahrersitz auf den Fahrersitz zu wechseln" und sich nicht länger hinter Paragraphen und Landeshauptleuten zu verstecken. Die Infektionszahlen müssten so stark sinken, dass das Infektionsgeschehen kontrolliert werden könne. "Nur dann haben wir den Spielraum für nachhaltige, dauerhaft sichere Öffnungen, und eine Perspektive für einen normalen Sommer. "Und das ist das Ziel." Rendi-Wagner:

"Das Virus hat einen klaren Plan, und um den zu bekämpfen, braucht es einen besseren, und zwar von der Bundesregierung." Einen Masernausbruch in einer Schule könne die Bezirksbehörde managen, eine Pandemie nicht.

"Sputnik-V" mit Vorsicht zu genießen

Das Impfen sei derzeit alternativlos. „Diesen Wettlauf dürfen wir nicht verlieren“. Nur mit der Impfung gebe es die Chance, „den Spieß endlich umzudrehen, das Virus in den Griff zu bekommen, denn derzeit hat uns das Virus im Griff.“ Derzeit würden 34.000 Menschen pro Tag geimpft, "das ist viel zu wenig". Um eine komplette Durchimpfung zu erreichen, müsse diese Zahl verdreifacht werden. "100.000 Impfungen pro Tag sind das Ziel", andere Länder, etwa Israel und Großbritannien, zeigten vor, wie das geht.

Jetzt probiere die Regierung, quasi "fünf vor 12" mit Russland zu kooperieren und Sputnik-V zu kaufen. Aber auch bei Sputnik-V müssten Sicherheit und Qualität an oberster Stelle stehen. Der europischen Arzneimittelbehörde EMA fehlten noch die Daten für die notwendige Überprüfung, "und es kann nicht sein, dass die österreichische Behörde weniger sorgfältiger oder fahrlässiger prüft".

Die Standards der Überprüfung müssten die gleichen sein. Eine "Notfallzulassung" hätte nur dann Sinn, wenn die EMA noch gar nicht prüfe. "Die Sicherheit muss an erster Stelle stehen, das haben auch unsere Erfahrungen mit AstraZeneca gezeigt."

Beratungen mit den Ländern

Die Bundesländer außerhalb der Ost-Region werden über die Oster-Feiertage die bei ihnen geltenden Regelungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verschärfen. Der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuz Gerry Foitik fordert dagegen einen längeren Lockdown.

Foitik plädierte im Ö3-"Wecker" dafür, mit einem harten Lockdown für kurze Zeit die Zahlen deutlich zu senken und dafür dann das Wirtschaften wieder zu ermöglichen: "Derzeit ist diese kurze Zeit wahrscheinlich vier bis sechs Wochen lang." Einen wochenlangen Lockdown light wolle niemand, der helfe gesundheitlich wenig und schade der Wirtschaft sehr.

Anstieg nur in Tirol und OÖ

Auch wenn das Gesundheitsministerium zuletzt ebenfalls für härtere Maßnahmen eintrat und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) eine weitere Verlängerung der Maßnahmen in der Bundeshauptstadt sichtlich nicht für unwahrscheinlich hält, scheint das aktuell nicht die Mehrheitsmeinung zu sein. Auf ÖVP-Seite wird mit Prognosen argumentiert, wonach die Intensivstationen bis Mitte des Monats in den Ländern außerhalb der Ost-Region nicht an ihre Grenzen kommen würden.

Wesentliche Anstiege würden nur in Tirol und Oberösterreich prognostiziert, doch auch dort bliebe man deutlich unter den Belagszahlen vom vergangenen Herbst. Für die Steiermark, Salzburg, Vorarlberg und Kärnten rechneten die Experten mit einem sehr geringfügigen Anstieg. Heute wird Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ebenso wie Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) persönlich beim Online-Gespräch mit den Intensivkoordinatoren teilnehmen.

Bevölkerung zweifelt

Die Bevölkerung hat unterdessen offenbar mehr Zweifel daran, dass sie selbst Mitschuld am Andauern der Krise hat. 49 Prozent sind laut einer Unique research-Umfrage für das "profil" der Ansicht, dass die Österreicher im Alltag "zu sorglos" seien. Im September und damit noch vor der zweiten Welle hatten noch 61 Prozent die Meinung vertreten. Allerdings finden nur neun Prozent, die Bevölkerung sei "zu vorsichtig". Nach Parteipräferenzen ergeben sich dabei große Unterschiede: Im ÖVP-Lager ist die Zahl jener, die eine übergroße Vorsicht bemerken, verschwindend gering (ein Prozent), unter FPÖ-Wählern beträgt der Anteil hingegen 31 Prozent.

Österreich fällt zurück

Nach den jüngsten Berechnungen liegt Österreich bei der Impfrate Ende Juni zurück. 21 EU-Staaten liegen dann in Sachen Impffortschritt vor Österreich.

Nur fünf Länder hätten hingegen gegen Ende des zweiten Quartals einen kleineren Anteil ihrer Bevölkerung durchgeimpft, nämlich Bulgarien (45,01 Prozent), Kroatien (45,29 Prozent), Tschechien (44,33 Prozent), Estland (50,27 Prozent) und die Slowakei (45,59 Prozent). Zum Teil weit über der Hälfte der Bevölkerung liegen dagegen die anderen EU-Staaten nach dieser Berechnung mit dem Spitzenreiter Malta (93,10 Prozent), gefolgt von Dänemark (79,88 Prozent), den Niederlanden (64,59 Prozent), Zypern (62,47 Prozent), Deutschland (61,04 Prozent) und Schweden (60,75 Prozent).

Dabei sind in diesem Vorschlag der portugiesischen EU-Ratspräsidentschaft bereits Korrekturen im Umfang von drei Millionen der zehn Millionen Biontech/Pfizer-Dosen berücksichtigt, aber eben nicht für Österreich, sondern für sechs osteuropäische Staaten, die bisher bei der Impfstoffbeschaffung ins Hintertreffen geraten sind: Nach dem nach wie vor strittigen Solidaritäts-Mechanismus würden die vom Bevölkerungsschlüssel abweichenden Extra-Dosen nur an Bulgarien (1.151.889), Kroatien (684.009), Tschechien (142.940), Estland (41.553), Lettland (376.689) und die Slowakei (602.921) gehen. In Summe macht dies drei Millionen Dosen aus, die restlichen sieben Millionen würden nach dem Bevölkerungsschlüssel verteilt, auf Österreich entfielen 139.170 Dosen.

Der von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) angeregte "Korrekturmechanismus" ist in der EU höchst umstritten. Vor allem Deutschland, die Niederlande, Dänemark und Schweden lehnten größere Korrekturen ab. Insbesondere gab es bisher keine Bereitschaft, Österreich Korrekturen zuzugestehen, da das Land derzeit beim Impffortschritt über dem EU-Durchschnitt liegt. Kurz hatte ja ursprünglich auf bis zu 400.000 Dosen im Rahmen der zehn Millionen gehofft, sich später aber nicht mehr auf eine Zahl festgelegt.

EU-Beratungen gehen heute weiter

Grund für die Ungleichheiten ist der Umstand, dass nicht alle Länder die ihnen angebotenen Impfstoffmengen gekauft haben, zum Teil auch aus Kostengründen. Wer auf den Impfstoff von Astrazeneca gesetzt hat, ist nun besonders von den Lieferschwierigkeiten dieses Herstellers betroffen. Österreich könnte in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte April geliefert werden soll.

Die EU-Botschafter beraten am heutigen Donnerstag weiter über die Verteilung.