Vor kurzem wollten Sie noch die Schanigärten öffnen, am Donnerstag ist Wien im Osterlockdown. Wie kam es zu dem Meinungsschwenk?

MICHAEL LUDWIG: Ich war vorher schon der Stadtvater, der sich um die Wiener gekümmert hat. Die Idee war zu einem Zeitpunkt, als das Infektionsgeschehen konstant auf niedrigem Niveau war, dass die Schanigärten unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen geöffnet werden. Es ging um Vorkehrungen, die auch Perspektiven geben. Mit der rasanten Entwicklung der hohen Infektionszahlen der letzten Tage war mir schnell bewusst, dass das ein falsches Signal wäre. Die Zahlen gehen in ganz Europa nach oben. Wir müssen rasch, schnell, kompromisslos handeln. Natürlich gibt es Kritik von der Wirtschaft, der Kulturszene. Aber: Ich bin für die Gesundheit der Bevölkerung verantwortlich. Ich kann nicht riskieren, dass auf den Intensivstationen Menschenleben gefährdet werden. Ich will nicht über Menschenleben entscheiden müssen.

Hätte man nicht schnell handeln müssen?

LUDWIG: Es mussten ja die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wien war vor sieben Wochen das Bundesland mit den besten Zahlen. Durch die britische Mutation hat sich das schlagartig geändert. Von dieser Variante sind jetzt auch stark jüngere Menschen betroffen, die sehr lang auf den Intensivstationen liegen. Ich versuche, wissensbasiert zu entscheiden. Es wäre sinnvoll gewesen, das bundesweit zu machen. Ich bin überzeugt, dass die anderen Bundesländer sehr schnell nachziehen werden.

Ich war am Dienstagabend am Donaukanal joggen, was ja erlaubt ist. Da war eine Stimmung wie im Hochsommer.

LUDWIG: Wir müssen jetzt deutlich machen, dass die Lage sehr ernst ist. Wir müssen klare Verhältnisse schaffen und den Menschen sagen, dass die Osterruhe nicht reicht. Deshalb haben wir die Maßnahmen verlängert. Ich bin überzeugt, dass die anderen Länder nachziehen müssen.

Niederösterreich und Burgenland wollten lange nicht mitziehen, habe es aber dann doch gemacht.

LUDWIG: Wenn ich mir die Dynamik in den Ländern anschauen, war es schwer vorstellbar, dass man als politischer Entscheidungsträger anders entscheidet.

Sonst wären die Wiener in die Shopping-City oder nach Parndorf gefahren.

LUDWIG: Das wäre absurd. Noch schwerwiegender wäre es, wenn Niederösterreicher und Burgenländer auf Wiener Intensivstationen liegen. Meiner Meinung nach ist die Osterruhe alternativlos. Ich bin vorangegangen, weil ich mir der Verantwortung bewusst bin. Ich weiß, dass es viel Kritik gibt. Aber: Die Gesundheit der Bevölkerung ist für mich prioritär.

Wenn man sich die Dynamik anschaut, ist kaum vorstellbar, dass am 12. April in Wien wieder aufgesperrt wird?

LUDWIG: Sie haben völlig recht.

Wovon hängt es ab, ob wieder geöffnet wird?

LUDWIG: Entscheidend ist die Auslastung auf den Intensivstationen. Das hat bei mir die Alarmglocken schrillen lassen.

Solange die Kurve nicht nach unten zeigt, wird nicht geöffnet?

LUDWIG: Richtig. Ich möchte nicht entscheiden müssen, ob ein Corona-Patient, der keine Luft bekommt, oder ein Herzinfarktpatient auf der Intensivstation behandelt wird. Diese Entscheidung möchte ich auch keinem Ärzteteam zumuten.

Sollte bis weit in den April verlängert werden müssen: Wann wird man das den Bürgern sagen?

LUDWIG: Ich bin dafür, dass man der Bevölkerung reinen Wein einschenkt. Es muss für die Bevölkerung, die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt, die Kulturszene eine Berechenbarkeit geben. Ich bin für österreichweite Entscheidungen. Es hängt von der Dynamik der Mutation und der Lieferung der Impfdosen ab. Als Politiker muss man auch unpopuläre Entscheidungen treffen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass alle Landeshauptleute mitziehen?

LUDWIG: Ich nehme wahr, dass die Bundesregierung die Verantwortung an die Länder abschiebt. Noch nie hatte eine Bundesregierung so weitreichende Kompetenzen vom Parlament eingeräumt bekommen wie diese. Daraus jetzt eine Föderalismusdebatte zu machen, ist absurd.

Sie hätte nichts dagegen, wenn die Regierung die Länder vor vollendete Tatsachen stellt?

LUDWIG: Es ist ein gewaltiger Fortschritt, dass die Länder jetzt gehört werden. Das war zu Beginn der Pandemie nicht der Fall. Aber die Bundesregierung ist dazu da, Entscheidungen zu fällen. Ich erinnere an endlose Pressekonferenzen. Wo ist jetzt die Regierung? Nur dann Pressekonferenzen zu machen, wenn die Umfragen stimmen, ist zu wenig. 

Sie üben Kritik an der Regierung, Sie meinen den Kanzler?

LUDWIG: Er hat immer davon gesprochen, dass die Krise Chefsache ist.

Waren Sie überrascht, dass Kurz der Pressekonferenz nach dem Ostgipfel ferngeblieben ist?

LUDWIG: Ich war nicht überrascht.

Ist es vorstellbar, dass der Lockdown bis weit in den April verlängert wird, allerdings die Schulen geöffnet werden?

LUDWIG: Bei den Schulen hat sich die Sicht der Experten geändert. In der Anfangsphase waren vor allem Ältere von der Pandemie betroffen. Durch die britische Mutation hat sich vieles geändert. Schulen sind ganz starke Infektionsherde, die Mutation wütet besonders unter jungen Menschen. Wir müssen bei den Schulen sehr vorsichtig sein.

Das hat Ihr Gesundheitsstadtrat bis zuletzt anders gesehen?

LUDWIG: Die Letztentscheidung trifft der Bürgermeister.

Was ändert sich ab Donnerstag in Wien?

LUDWIG: Ich habe gerade eine Verordnung unterschrieben, die eine Maskenpflicht für eine Reihe von Plätzen, darunter den Donaukanal, vorsieht. Wenn die Menschensammlungen auf andere Plätze ausweichen, werden wir nachziehen. Die Osterruhe soll dazu führen, dass sämtliche persönlichen Kontakte reduziert werden. Ich meine nicht soziale Kontakte, man sollte Leute, die einsam sind, anrufen. Das wäre im Sinne der Osterbotschaft. Ostern ist nicht nur ein Fest des Osterhasen, Ostern hat auch einen tiefen religiösen Hintergrund. 

Wie scharf wird kontrolliert?

LUDWIG: Ja, es wird eine starke Polizeipräsenz an den neuralgischen Punkten geben. Ich hätte gern, dass die Leute aus Eigenverantwortung den Ernst der Lage erkennen.

Kurz will Sputnik ankaufen. Ist es eine gute Idee?

LUDWIG: Es wird immer viel angekündigt. Ich bin gespannt, ob die Regierung die Verantwortung für eine nationale Genehmigung übernimmt. Ich wäre für ein EU-weites Vorgehen. Nichts ist schlimmer als eine Irritation in der Bevölkerung. 

Sollte AstraZeneca weiterhin an alle verimpft werden?

LUDWIG: Ich höre auf die EU-Arzneimittelagentur. Es ist millionenfach verimpft worden, ohne nennenswerte Auswirkungen. Das Risiko, an Corona zu erkranken oder zu sterben, ist deutlich höher. 

Bis wann sind alle Wiener durchgeimpft?

LUDWIG: Ich mache keine Prognosen, denn im Wochentakt werden die Impfdosen, die uns von der Bundesregierung zugeteilt werden, geändert. Wir verimpfen alles, was wir bekommen.

Was halten Sie vom grünen Pass?

LUDWIG: Da gibt es noch so viele offenen Fragen. Man sollte einmal alles diskutieren - statt sich einfach hinzustellen und zu sagen: Wir sind die Ersten. Solange nicht alle Menschen, die sich impfen lassen wollen, auch tatsächlich geimpft sind, schafft das nur Unruhe in der Bevölkerung.

Wird es 1. Mai einen Aufmarsch am Ratshausplatz geben?

LUDWIG: Das hängt in erster Linie davon ab, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt.

Wie verbringen Sie den Ostersonntag?

LUDWIG: Isoliert mit meiner Frau zu Hause.