Sie haben Ihren Schuldspruch und Ihr Strafmaß regungslos verfolgt. Haben Sie vielleicht doch damit gerechnet?
Karl-Heinz Grasser: Nein, das Urteil hat mich total überrascht. Ich bin in das Gericht gegangen in der Erwartung eines glatten Freispruchs. Ich fühlte mich wie im falschen Film. Ich habe nicht gewusst, ob ich jetzt umfalle oder mich hinsetzen muss. Und da ich immer um Haltung bemüht bin, bin ich stehen geblieben. Aber das war viel schwieriger für mich, als es vielleicht den Anschein hatte.

Haben Sie kurz daran gedacht, aus Protest den Saal zu verlassen wie Ihr Trauzeuge Walter Meischberger?
Nein, weil ich wissen wollte, wie die Richterin ein so unhaltbares Urteil begründen kann.

Haben Sie Urteil und Begründung verstanden? Die Komplexität war ja sogar für die Verteidiger eine Herausforderung.
Das konnte man nicht verstehen. Ich als gelernter Österreicher war jedenfalls immer der Überzeugung, dass das, was ein Gericht entscheidet, stimmen muss. Mein Fall wurde jedoch zu einem Musterbeispiel dafür, wie ein Verfahren nicht ablaufen darf. Hier wurden 150 Zeugen gehört und der Großteil hat mich unter Wahrheitspflicht entlastet.

Was Sie natürlich nicht erwähnen, ist, dass Sie von zwei Zeugen schwer belastet wurden. Einem hat die Richterin Glauben geschenkt. Warum soll es die Öffentlichkeit nicht tun?
Willibald Berner (Anm.: Ex-Kabinettschef im FPÖ-Infrastrukturministerium) hat lediglich behauptet, von Hochegger vom „Tatplan“ erfahren zu haben. Was dieser stets bestritten hat. Zudem wurde Berner von einem langjährigen Freund als „Gschichtldrucker“ bezeichnet. Zudem haben sämtliche Banker ausgesagt, dass das strittige Konto von Meischberger, über das das Geld geflossen sein soll, nicht mit mir in Verbindung steht. Aus meiner Sicht ist hier sogar der Freibeweis vom Vorwurf der Staatsanwaltschaft gelungen. Und dann liest die Richterin als Urteilsbegründung quasi die Anklageschrift vor. Die drei Jahre vor Gericht waren umsonst...

Grasser im Gespräch mit Redakteurin Christina Traar in der Kanzlei seines Verteidigers, Manfred Ainedter.
Grasser im Gespräch mit Redakteurin Christina Traar in der Kanzlei seines Verteidigers, Manfred Ainedter. © Akos Burg

... und enden mit acht Jahren Freiheitsstrafe für Sie.
Für die Richterin war schon vor Prozessbeginn klar, dass ich schuldig bin. Sie hat bei der Urteilsverkündung erklärt, dass es bereits vor Beginn eine „erdrückende Beweislast“ gegeben habe. Selbst meine größten Feinde werden zugeben – es gibt nicht einen Beweis.

Dafür aber ein Teilgeständnis Ihres ehemaligen Vertrauten und heutigen Mitangeklagten Peter Hochegger, der Sie schwer belastet hat. Hat es Ihnen Genugtuung bereitet, dass er sich damit nicht – wie von Ihnen mehrfach behauptet – eine mildere Strafe erkaufen konnte?
Schadenfreude war noch nie eine Charaktereigenschaft von mir. Ich behaupte aber nach wie vor, dass er einen Deal mit der Staatsanwaltschaft hat. Diese hat mehrfach gegenüber anderen urgiert, ihnen „den Grasser zu liefern“. Zudem war bereits die Anklage eine politische Vendetta von Grün und Rot geben mich.

Warum sind alle – wie Sie behaupten – gegen Sie? Warum sollen es Justiz und Politik auf Sie abgesehen haben?
Weil ich jemand bin, der immer polarisiert hat. Die massive politische Jagd von Links auf mich hat ja schon in meiner Amtszeit begonnen. Daraus hat sich über die letzten Jahre eine Dynamik entwickelt, dank der ich heute vor den Trümmern meiner Existenz stehe.

Warum haben Sie polarisiert?
Weil ich immer klare Meinungen hatte und die auch vertreten habe.

Ihr glamouröser Lebensstil hatte damit nichts zu tun?
Das wird sicher auch dazu beigetragen haben, ja. Das war ein Amalgam des Neids. Ein Schwammerl, das zu hoch wächst, das muss man einen Kopf kürzer machen.

Würden Sie heute den Fan-Brief, in dem Sie als zu schön, zu reich und zu intelligent bezeichnet wurden, noch einmal im Fernsehen vorlesen?
Natürlich würde ich ihn nicht mehr vorlesen. Ich war ein politischer Schüler des Jörg Haider, der immer wieder Dinge, die er von der Bevölkerung bekommen hat, in die Öffentlichkeit getragen hat. Und das war ja damals auch ein echter Brief.

Sehen Sie bei sich selbst gar keinen Fehler, keine Schuld?
Wer diese Frage mit Nein beantwortet, muss ein besonders glücklicher Mensch sein. Natürlich habe ich Fehler gemacht. Aber die sind strikt von der Frage zu trennen, ob es strafrechtliche Verfehlungen gab. Und ich war dabei – es gab keine.

Richterin Hohenecker sah das anders. Zuletzt hatten Sie und Ihre Verteidiger ihr Rosen für ihre Prozessführung gestreut, nun schießen Sie sich auf sie ein. Sind Sie ein schlechter Verlierer?
Man muss die Dinge hier trennen. Ja, sie hat das Verfahren gewissenhaft geführt. Aber offenbar nur, um nach außen den Anschein zu erwecken, die Wahrheit herausfinden zu wollen. Sie hat das gesamte Beweisverfahren ignoriert und einfach der Anklage recht gegeben. Zudem ist der Anschein der Befangenheit bei ihr seit Beginn an ein großes Thema.

Sie und Ihre Verteidiger sehen diesen Anschein, weil sich ihr Mann in – zugegebenermaßen geschmacklosen – Tweets kritisch über Sie geäußert hat. Zeugt das nicht von einem antiquierten Frauenbild, davon auszugehen, dass die Meinung des Mannes zugleich die seiner Frau sein muss?
Das hat nichts mit der Emanzipation der Frau zu tun. Ihr Ehemann ist klar der Sozialdemokratie zuzuordnen, ihr Stiefsohn steht noch weiter links. Die Ausrichtung des richterlichen Haushaltes ist also klar. Ihr Mann war zudem ihr Ausbildungsrichter. Und für die Tweets ist er in der Zwischenzeit auch verurteilt worden. Und darüber, dass sie ihren eigenen Befangenheitsantrag ablehnen konnte, wird der Verfassungsgerichtshof entscheiden.

Aber warum sollte sie sich mehr auf die Meinung ihrer Familie anstatt auf ihre eigene langjährige Erfahrung verlassen?
Darum geht es nicht, sondern um die Frage des Anscheins einer Befangenheit. Und dass sie diesen abgelehnt hat, ist nicht haltbar. Dieses Urteil hat nichts mit Objektivität zu tun. Wenn in diesem Land islamistische Extremisten ein paar Monate im Gefängnis sind und dann entlassen werden, um vier Menschen zu töten, dann muss man darüber nachdenken, wie in unserem Rechtsstaat agiert wird. Kinderschänder sowie jene, die Verbrechen an Leib und Leben begehen, bekommen weniger als ich als Unschuldiger? Man möge mir hier meine Verbitterung nachsehen.

Die waren aber auch keine hohen Amtsträger.
Es ist offensichtlich, dass man an mir ein Exempel statuieren will. Man mag mir das glauben oder nicht. Aber wenn ich das wirklich getan hätte, hätte ich irgendwann den Mut aufgebracht und gesagt: Ja, ich hab das getan. Aber so war es eben nicht. Zudem: Warum hätte ich das tun sollen?

Sie sagen, dass Ihr Trauzeuge Meischberger Sie in diese Sache hineingezogen hat. Wie kann man mit so einem Mann dann in den Prozesspausen locker plaudern?
Ich habe mich in den Pausen bis auf Hochegger mit jedem der Angeklagten unterhalten, weil man diesem enormen Druck gemeinsam ausgesetzt ist. Das darf man mir nicht negativ auslegen.

Sollte das Urteil halten, müssen Sie der Republik Ihren Anteil an der geflossenen Provision zurückzahlen. Können Sie das überhaupt?
Ich befasse mich gar nicht damit, dass dieses Urteil halten könnte. Aber: Ich bin ja schon wirtschaftlich ruiniert, ich habe mein gesamtes Vermögen für meine Verteidigung ausgegeben. Ich kann seit elf Jahren nicht mehr arbeiten. Am Anfang habe ich mich noch massiv bemüht. Aber zwei Auftraggeber von mir sind vorgeladen und befragt worden, was sie mit mir zu tun haben. Daraufhin hat es keine Aufträge mehr gegeben.

Haben Sie dennoch daran gedacht, wie es wäre, wenn Sie doch ins Gefängnis müssen?
Nein. Denn ich kann nicht glauben, dass so etwas in Österreich möglich sein kann.

Würden Sie heute noch einmal in die Politik gehen?
Ich weiß es nicht. Ich habe immer im Interesse des Landes gehandelt und das unglaublich gerne gemacht. Könnte ich das heute jemandem empfehlen? Wohl kaum.

Was haben elf Jahre Strafverfolgung mit Ihnen als Mensch gemacht?
Sie verändern einen. Man wird einerseits devot und dankbar für alles Gute, das passiert. Man ist aber auch verletzt. Aber es gibt da einen Spruch: Am Ende wird alles gut und ist es noch nicht gut, ist es nicht das Ende. Das gilt auch für diesen Prozess.