Die FPÖ-Politikerin Ursula Stenzelhat am Samstagabend eine Rede (den gesamten Mitschnitt können Sie hier nachhören) beim Aufmarsch der rechtsextremen Identitären in Wien gehalten. Auf sozialen Medien und vonseiten des politischen Mitbewerbs ist die Empörung seitdem groß ("Ein außerirdischer Auftritt", "sie ist nicht mehr zurechnungsfähig"), mehrfach wird der Rücktritt der nicht amtsführenden Wiener Stadträtin gefordert.
Stenzel reagierte am Sonntagvormittag auf die Kritik und gab sich dabei unwissend über die Hintergründe der Veranstaltung: "Ich wurde, wie in den vergangenen Jahren zu der Veranstaltung zum Gedenken an die Befreiung Wiens von den Türken 1683 eingeladen. Für mich ist die Erinnerung an dieses Datum gerade in Zeiten der Ausbreitung des politischen Islam in Europa und der Allmachtsphantasien des türkischen Präsidenten Erdogan von enormer Bedeutung. Daher habe ich auch an dieser Veranstaltung teilgenommen."
Dass auch Vertreter der Identitären Bewegung anwesend gewesen sein sollen, wäre ihr "nicht bewusst" gewesen. Hätte sie davon Kenntnis erlangt, "hätte ich diese Veranstaltung selbstverständlich nicht besucht", ließ Stenzel wissen, die auch ihre "klare Ablehnung der Identitären Bewegung" betonte.
ÖVP fordert erneut Verbot, SPÖ will prüfen
Die ÖVP bringt indes erneut ein Verbot der Identitären aufs Tapet. Diese sei "eine radikale Organisation", bei der es "null Toleranz" geben dürfe, erklärte ÖVP-Klubobmann August Wöginger gegenüber Ö1. Bereits bei der nächsten Nationalratssitzung am 25. September - und damit vier Tage vor der Wahl - wolle man einen entsprechenden Antrag einbringen. Dieser werde wohl von jeder Partei außer den der FPÖ unterstützt werden, glaubt Wöginger.
Auch die SPÖ will nun ein Verbot des Vereins prüfen lassen. "Unsere Demokratie muss vor jenen geschützt werden, die sie untergraben wollen", erklärte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner dazu auf Twitter.
"Ich fordere Justiz- und Innenminister daher auf, ein Verbot der Identitären zu prüfen bzw. eine Änderung des Vereinsgesetztes unter Wahrung der Grundrechte vorzuschlagen", so die Parteivorsitzende. Gegenüber der APA hieß es aus ihrem Büro, dieser Schritt müsste noch vor der Wahl erfolgen. Der Auftritt Stenzels jedenfalls sei ein weiterer Beleg dafür, dass die FPÖ nach wie vor mit den Identitären sehr verstrickt sei und keine wirkliche Abgrenzung erfolgt sei. Es handle sich um einen "weiteren Einzelfall, aber die Einzelfälle haben System" bei der FPÖ, so eine Sprecherin Rendi-Wangers.
Ob ein Verbot überhaupt rechtlich möglich ist, darüber gibt es unterschiedliche Rechtsansichten. Die ÖVP wolle ein entsprechendes Gesetzesvorhaben in den kommenden Tagen ausarbeiten.
Stenzel setzt mit Rede "ein Zeichen"
In ihrer Rede hatte Stenzel zuvor davon gesprochen "ein Zeichen gesetzt" zu haben und erklärte, dass sie es "für wahnsinnig wichtig" halte, "dass besonders junge Leute dieses Geschichtsbewusstsein heute haben".
Die frühere ÖVP-Europaabgeordnete verwies in diesem Zusammenhang auch an die jüngsten Aussagen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die EU in der Flüchtlingsfrage "unter Druck setzt". Dies sei "ein Symptom für die Bedenkenlosigkeit vieler europäischer Regierungen", mahnte das nicht amtsführende Mitglied der Wiener Stadtregierung.
Ein Teil der Rede von Ursula Stenzel:
Der Auftritt einer führenden FPÖ-Politikerin vor Identitären drei Wochen vor der Nationalratswahl gilt als bemerkenswert, hat sich die FPÖ doch nach dem Christchurch-Attentat um eine strikte Abgrenzung und Distanzierung von der rechtsextremen Bewegung bemüht, wobei es sogar zur Auflösung von Mietverträgen kam. Der damalige FPÖ-Vizechef Norbert Hofer betonte im April im Magazin "News" auf die Frage nach der Abgrenzung zu den Identitären, es sei "für mich unvorstellbar, dass jemand, der bei uns aktiv ist - egal auf welcher Ebene -, sagt: 'Ich spende etwas oder ich gehe zu einer Veranstaltung oder Demo'"
Konsequenzen will die Partei dennoch keine ziehen. Stenzel eine Nähe zu den Identitären zu unterstellen, "wäre mehr als absurd", fand FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky in einer Aussendung.
"Gerade der Wiener FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel, die selbst jüdischen Glaubens ist, eine Nähe zu den Identitären zu unterstellen, wäre mehr als absurd und geht völlig an der Faktenlage vorbei", sagte Vilimsky. Er bestreitet, dass es sich um eine Veranstaltung der Identitären gehandelt habe. Stenzel habe "an einem Gedenken der Ereignisse von 1683" teilgenommen und dort auch das Wort ergriffen. "Alles andere sei böswillige Unterstellung, denn auf die Auswahl der Teilnehmer und die Instrumentalisierung diverser Gruppen habe Stenzel nicht den geringsten Einfluss gehabt, genauso wie ihr sämtliche Teilnehmer sowie deren politische Hintergründe natürlich nicht bekannt gewesen sein konnten", heißt es in der Aussendung.
Andere Parteien fordern Rücktritt
Die anderen Parteien reagieren naturgemäß erbost. Es gebe keine akzeptable Erklärung oder Entschuldigung für einen solchen Auftritt, schrieb SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda auf Twitter. Die einzig mögliche Konsequenz sei ein sofortiger Rücktritt. SP-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner fühle sich bestätigt, da sie schon im Mai Stenzels Rücktritt gefordert habe, nachdem diese ein ZiB2 Interview mit dem Volksgerichtshof verglichen hatte. "100 Einzelfälle und jeden Tag werden es mehr. Das sind keine Einzelfälle, das ist System", kritisierte die SP-Chefin auch gleich die gesamte FPÖ. Bei einer Pressekonferenz musste Wiens Bürgermeister Michael Ludwig am Sonntag aber einräumen, dass er vorerst keine Möglichkeit sehe, Stenzel abzusetzen.
Auch die ÖVP, der Stenzel bis 2014 angehörte, übte heftige Kritik: "Der Auftritt der FPÖ-Stadträtin Ursula Stenzel bei den rechtsextremen Identitären ist inakzeptabel", teilte Generalsekretär Karl Nehammer per Aussendung mit. Die ÖVP erwarte sich den Ausschluss von Ursula Stenzel aus der FPÖ und ihren Rücktritt.
Norbert Hofer hat offensichtlich die Kontrolle über die FPÖ verloren", stellte Liste Jetzt-Spitzenkandidat Peter Pilz in einer Aussendung fest. Stenzel habe sich "endgültig für die Politik untragbar gemacht", befand wiederum der Klubobmann der Wiener NEOS, Christoph Wiederkehr.
Ursula Stenzel selbst schloss indes im Ö1-Sonntagsjournal ihren Rücktritt aus. "Das ist lächerlich", kommentierte sie.