Es gab einen Moment, da hat Heinz-Christian Strache instinktsicher viel riskiert: Als der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider am 3. April 2005 im Innenministerium das Parteistatut seiner kurzlebigen orangen Splitterpartei „Bündnis Zukunft Österreich“ hinterlegte, verweigerte Strache im parteiinternen Putsch die Gefolgschaft. Der damals knapp 36-jährige Parteiobmann der Wiener FPÖ sah vielmehr die Chance gekommen, selbst an die Spitze der FPÖ zu treten und dort wieder zur „reinen Lehre“ des ausländerfeindlichen Rechtspopulismus zurückzukehren.

Mit dieser Lehre war Haider groß geworden. Doch hatte er sich seit Eintritt der FPÖ in die schwarz-blaue Bundesregierung unter Wolfgang Schüssel im Februar 2000 zunehmend in Richtung Mitte orientiert. Letzter Stein des Anstoßes waren damals die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei: Haider war dafür, Strache dagegen. Die Türkei sei kein Teil Europas, sagte er.

Dass Strache womöglich aufs richtige Pferd gesetzt hatte, stellte sich bald heraus. Schon bei der Wiener Landtagswahl 2005 fiel die FPÖ „nur“ von 20 auf 15 Prozent der Stimmen zurück, was angesichts der eben erst vollzogenen Parteispaltung als Erfolg gelten durfte.

Im Dauerwahlkampf

In den seither verstrichenen fast 15 Jahren führte Strache die Partei auf den einst von Jörg Haider erklommenen Zenit zurück. Ja, er überflügelte seinen Meister. In einer Art Dauerwahlkampf habe Strache die FPÖ „zur Volkspartei gemacht“, auch zum erklärten Vorbild für die deutsche AfD, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ nach der Nationalratswahl 2017. Im In- und Ausland beobachtete man den rechten Vormarsch mit Ehrfurcht und Furcht.

Denn Straches bemerkenswerte Wahlerfolge waren stets von Zweifeln umweht. Es ging, anders als zu Haiders Zeiten, nicht nur um die vielen „Einzelfälle“ am rechten Rand der Partei, wo der berühmte „Narrensaum“ im Monatstakt für peinliche Affären sorgte.

Auch Strache selbst galt - im Unterschied zu weiland Haider - als demokratiepolitisch unsicherer Kantonist. Als Ende 2007 Bilder auftauchten, die den Parteichef mit dem „Kühnengruß“ zeigten (drei gespreizte Finger als Abwandlung des Hitlergrußes), sah mancher seine dunkle Ahnung bestätigt. Straches Erklärung („drei Bier“) blieb dünn. Dann holte ihn auch noch die fernere Vergangenheit ein: In den späten 1980er-Jahren hatte er Kontakte zur rechtsextremen Szene gehabt, nahm etwa an einem „Mahnfeuer“ der verbotenen Wiking-Jugend teil und wurde bei „Wehrsportübungen“ in Kärnten im militärischen Camouflage-Look abgelichtet.

Langer Atem

Die Aufregung ging vorbei, der Zweifel blieb. Doch Strache erwies sich als Meister des langen Atems. Er wusste, dass ihm die Zeit in die Hände spielte: Die SPÖ-ÖVP-Koalition brauchte immer mehr Mühe, um ihre inneren Zielkonflikte in Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik zu überspielen. Der wortgewaltige Oppositionsführer war noch jung genug für zwei Optionen: Entweder würde die FPÖ eines Tages stärkste Partei sein, oder sie würde zuvor in eine Koalition einsteigen.

Und tatsächlich kam Strache mit den Jahren zu Ämtern und Würden. Im Jahr 2016 schaffte er es auf die Titelseite des „Time Magazine“. Am 13. Juli 2017 wurde dem gelernten Zahntechniker von SPÖ-Nationalratspräsidentin Doris Bures das Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

Dass schon 2012 der einstige Bundespräsident Heinz Fischer die Verleihungsurkunde nicht unterschreiben wollte, steigerte noch den Triumph. Denn Strache verstand es immer, aus „viel Feind viel Ehr'“ zu machen. Er stilisierte sich zum Verfolgten und grub doch der SPÖ bei den Wählern mit sozialpolitischen Signalen das Wasser ab.

Gereift, geläutert, angekommen

Eine wichtige Komponente seines Erfolgs, das muss man sagen, war die Schwäche seiner Gegner, die immer wieder in dieselbe Falle tappten. Das Kalkül war simpel: Je öfter die FPÖ als „rechtsextrem“ verunglimpft wurde, je mehr man sie mit schauriger Angstlust auf Titelseiten dämonisierte und das Ende der Demokratie ausrief, desto mehr festigte Strache seine Wählerbasis.

Als Vizekanzler schien er zuletzt tatsächlich gereift, geläutert, angekommen. Im Amt ist ihm, soweit man weiß, kein grober Fehler passiert. Fast hätte man sich gewöhnt an den arrivierten, stets etwas kauzigen Außenseiter, der im Bedarfsfall auch herzlich sein kann.

Gestürzt ist er jetzt über die dunkle Seite der Macht. Über die unverzeihliche Anmaßung von Korruption und Despotismus. Er hat ein respektables Lebenswerk mit einem Schlag zerstört. Haider und Strache: Auf frappierende Art wiederholt sich die Geschichte. Aber ganz anders, als viele fürchteten.