Am Wiener Rathausplatz feiert die SPÖ heute – wie jedes Jahr – das Hochamt der österreichischen Sozialdemokratie: die Kundgebung zum 1. Mai, ein Echo des Aufmarsches der Wiener Arbeiterschaft von 1890. Damals war das die größte Demo, die Wien jemals gesehen hatte – und ein Meilenstein im Kampf um mehr Arbeitnehmerrechte.

Auch wenn die 120.000 Teilnehmer, die die Wiener SPÖ im vergangenen Jahr gezählt haben will, wohl deutlich zu hoch gegriffen sind: Mit mehreren Zehntausend Teilnehmern ist der Maiaufmarsch noch immer die größte politische Parteiveranstaltung des Landes.

Und die ist heuer gleich aus mehreren Gründen bemerkenswert: Zum einen, weil die Hauptredner der Veranstaltung den 1. Mai zum ersten Mal in ihrer neuen Funktion begehen: Pamela Rendi-Wagner als SPÖ-Chefin (im Vorjahr sprach noch Christian Kern als Oppositionsführer) – und Michael Ludwig als Wiener Bürgermeister (2018 stand er zwar schon als Nachfolger fest, aber trotzdem im Schatten Michael Häupls).

Auch die Rednerliste ist heuer eine Besonderheit: Neben den Chefs von Wiener und Bundespartei stand üblicherweise der Präsident des Gewerkschaftsbunds auf der Bühne, um die Arbeiterschaft kämpferisch hochleben zu lassen – aber Wolfgang Katzian überlässt seinen Platz dieses Jahr Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl. Einerseits, weil sie bei den AK-Wahlen mit Zugewinnen in mehreren Ländern soeben einen kleinen SPÖ-Triumph eingefahren hat.

Andererseits, weil die Partei der vor wenigen Tagen vom ÖVP-Wirtschaftsbund geforderten Senkung des Arbeiterkammer-Beitrages – die die AK budgetär schwächen würde –entgegenhalten will. Und drittens, weil die Frauenquote unter den Rednern passen soll. Neben Ludwig, Rendi-Wagner und Anderl werden EU-Spitzenkandidat Andreas Schieder (er war Ludwig im Kampf um Häupls Nachfolge unterlegen) und die neue Wiener Frauenvorsitzende Marina Hanke sprechen.

Regierung hält mit Steuerreform dagegen

Deutlich stärkeren Gegenwind als in den vergangenen Jahren bekommt die SPÖ heuer von außen: Es ist kein Zufall, dass die türkis-blaue Bundesregierung just am Tag der Arbeit (gesetzlich heißt er – ein Kompromiss aus der Frühzeit der Ersten Republik – seit genau hundert Jahren Staatsfeiertag) in einem Sonderministerrat die Steuerreform formell vorlegen wird – von ihr sollen (siehe S. 6–9) vor allem Arbeitnehmer profitieren. Beabsichtigte Symbolik, auch mit Hinblick auf die 2019 anstehende Wien-Wahl: Während die SPÖ redet, hilft die Regierung tatsächlich. (Die FPÖ feiert auch, allerdings in weit kleinerem Rahmen: In einem Festzelt in Linz; ÖVP-Ministerien veranstalten ein "Fest der Familie" in Wien.)

Aber nicht nur von außen kommt Unruhe in die 1.-Mai-Feierlichkeiten: Bis heute ungelöst ist die Frage, wie es die SPÖ mit der FPÖ hält. Während die Wiener Landespartei am liebsten jede Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen kategorisch ausschließen würde – Schieder erklärt im Wahlkampf immer wieder, die FPÖ und ihre Verbündeten seien die größte Gefahr für die EU –, ist das trotz der Aufregung um die Freiheitlichen in den letzten Tagen keine einhellige Position.

Im Burgenland etwa denkt Hans Peter Doskozil nicht daran, seine rot-blaue Koalition aufzugeben: „Das ist nicht Parteilinie, sondern Privatmeinung von Andreas Schieder“, so Doskozil vergangene Woche. Am Dienstag legte der neue Tiroler SP-Chef Georg Dornauer nach: Ein kategorisches Nein zu jeder Koalition der Sozialdemokratie mit der FPÖ gebe es nicht.

Und auch Christian Kern, vor einem Jahr noch Parteichef, dürfte den roten Wahlstrategen wenig Freude machen: Wie gestern über russische Medien bekannt wurde, könnte der ehemalige ÖBB-Chef demnächst Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn RZD werden.