Es waren die letzten Tage des Jänners 2000, als die 14 EU-Partner Österreichs ein bilaterales Maßnahmenpaket gegen die Alpenrepublik vereinbarten, um im allerletzten Moment doch noch eine Regierungsbeteiligung der FPÖ unter Jörg Haider abzuwenden. Und dies, obwohl mit der ÖVP, an deren Spitze der leidenschaftliche Europäer Wolfgang Schüssel stand, das Kanzleramt fest in europafreundlichen Händen lag und Jörg Haider, der begnadete Populist und beängstigende Provokateur, in die zweite Reihe zurücktreten musste.
Warum ist dann aber jetzt, wo die FPÖ zur deutlich stimmenstärksten Kraft im Land und in einer möglichen Koalition mit der ÖVP aufgestiegen ist und deren Chef Herbert Kickl vor der Ernennung zum Kanzler steht, so gar keine Rede von Sanktionen irgendeiner Art?
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Die Sanktionen als Schuss ins europäische Knie
Die Antwort ist kompliziert und einfach zugleich: Die Nicht-Reaktion in der Gegenwart ist die direkte Folge der Überreaktion in der Vergangenheit. Vor 25 Jahren diktierten Gefühle das politische Handeln. In Europa, allen voran in Frankreich, aber auch anderswo, ging die Angst vor dem Aufstieg eines fremdenfeindlichen, teils rassistischen Rechtspopulismus um. Die „Sanktionen“ der EU-14 waren Innenpolitik mit europapolitischen Mitteln. Schwarz-Blau sollte isoliert und an den Pranger gestellt werden: Die bilateralen Beziehungen zur Koalition wurden auf das notwendigste Mindestmaß reduziert, österreichische Kandidaten für internationale Positionen sollten nicht unterstützt werden. Doch weil jede politische Debatte die Emotionen überschießen lässt, war man schnell bei Fragen, wie jener, ob denn Skifahren in der Alpenrepublik noch moralisch vertretbar sein könne.
Das war der Stoff, aus dem der nationale Schulterschluss entsprang. Was erfunden wurde, um die schwarz-blaue Bundesregierung, die am 4. Jänner unterirdisch zur Angelobung marschieren musste, weil der überirdische Weg über den Ballhausplatz von Demonstranten versperrt war, zu erschüttern, führte in letzter Konsequenz zu ihrer Stabilisierung und steigenden Beliebtheitswerten. Der Versuch, eine durch freie Wahlen demokratisch legitimierte Regierung durch Druck aus dem Ausland zu destabilisieren, wurde als unzulässige Einmischung erlebt. Die Unterstützung einer kurz zuvor noch ungeliebten Koalition wurde, ein uralter Reflex, zur patriotischen Bürgerpflicht umgedeutet.
Noch einen „Exit“ kann sich Europa nicht leisten
Für Europa wurden die Sanktionen zum sprichwörtlichen Schuss ins eigene Knie. Die Folgen wirken bis heute im kollektiven Unterbewusstsein nach. Dass Ängste und Gefühle für Sanktionen nicht ausreichen, sondern dass es dazu handfeste Taten braucht, formulierte dann auch jener Rat von drei „Weisen“, die im Frühjahr 2000 nach Österreich entsandt wurden, um einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Ihre wichtigste Empfehlung lautete: Für die Verhängung kollektiver Maßnahmen braucht es ein handfestes Regelwerk im EU-Vertrag. Daraus entsprang Artikel 7, mit dem Verstöße gegen die EU-Grundsätze geahndet werden können.
Zur Anwendung kam es dieses Regelwerk bis heute noch nie. Die nötige Einstimmigkeit im Rat war bisher nicht zu haben. Aber Europa und die Welt um uns herum haben sich seit den Sanktionen weiter gedreht. Populisten aller Art sitzen längst im Europäischen Rat der Regierungschefs. Manche betreiben Obstruktion wie Ungarns Viktor Orbán, andere geben sich konstruktiv wie Italiens Giorgia Meloni. Noch radikalere klopfen an die Tür: in Frankreich zumal, aber auch in Deutschland. Dann sind da Donald Trump, Wladimir Putin und Chinas autoritäre Herausforderung. Noch einen Austritt wie jenen Großbritanniens kann sich die EU nicht leisten.
Und was ist geblieben von diesen aufgeregten Wochen und Monaten vor 25 Jahren? Ein Kaleidoskop von Wortschöpfungen und Anspielungen: Champagnisieren, Donnerstagsdemos, das Mienenspiel des Bundespräsidenten bei Angelobungen, Kampflächeln und die moralische Qualität von Skifahren.