Bei der Nationalratswahl in vier Wochen gelten neue Spielregeln in den Wahllokalen. Denn in den letzten Jahrzehnten haben sich in erster Linie in Wien Usancen eingeschlichen, die dem Geist des Gesetzes zuwiderlaufen.
Anders als in anderen Ländern zeichnen in Österreich die Parteien für die Abwicklung des Wahlvorgangs verantwortlich. Das wird in der Verfassung ausdrücklich so geregelt. Den Vorsitz stellen zwar die Behörden, die Beisitzer werden aber von den Parteien gestellt. Dafür werden diese denn auch entsprechend entlohnt, meistens in Form eines Kuverts, das dem Beisitzer zum Auftakt des Wahlsonntags ganz legal zugesteckt wird.
Unsitte hielt Einzug
In den letzten Jahrzehnten hat nach Informationen der Kleinen Zeitung in erster Linie in der Bundeshauptstadt eine Unsitte Einzug gehalten, die in vier Wochen nicht mehr möglich sein sollte. Zahllose Gesprächspartner bestätigen, dass vor allem Wahlbeisitzer der FPÖ gar nicht den Tag im Wahllokal verbracht haben, sondern gleich nach Erhalt des Kuverts das Weite gesucht haben. Spätestens bei der Stimmauszählung kehrte man ins Wahllokal wieder zurück.
Die novellierte Wahlordnung sieht vor, dass man seine Tätigkeit im Wahllokal absolviert haben muss, um Anspruch auf die Entschädigung zu erhalten: 33 Euro bei einer Öffnungszeit unter drei Stunden, 66 Euro bei maximal sechs Stunden, sonst 100 Euro. Erstmals gelten nicht nur bundesweit einheitliche Sätze, erstmals wird festgehalten, dass die Entschädigung nicht versteuert werden muss. Zu diesem Zweck wurde eigens das Abgabenänderungsgesetz novelliert.
Stillschweigende Praxis
Nichts geändert hat sich an der stillschweigenden Praxis, dass sich vor allem SPÖ und ÖVP von den Beisitzern erwarten, dass das Geld - oder ein Teil - an die Partei abgeführt wird. „Früher war das ein Fixpunkt bei der Parteifinanzierung“, erzählt ein langjähriger Insider. Und enthüllt, dass etwa in Linz früher das Geld direkt an die Parteien überwiesen worden ist.
Nicht nur das Fernbleiben der Wahlbeisitzer, auch die mangelnde Attraktivität von Parteien bringen es mit sich, dass die Beschlussfähigkeit in den knapp 10.000 Wahllokalen zunehmend an ihre Grenzen stößt. Josef Taucher, als Chef der größten SPÖ-Bezirksorganisation Donaustadt einer der mächtigsten Männer im roten Wien, bringt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung das Schweizer Modell ins Spiel. „Wahlhelfer sind ein Grundpfeiler der Demokratie“. Während die SPÖ bei der Rekrutierung in der Bundeshauptstadt auf keine Probleme stößt, sieht es bei den anderen Parteien anders aus. Kleinere Parteien wie die Grünen würden bisweilen niemanden in ein Wahllokal schicken.
Beisitzer per Los gekürt
In der Schweiz werden die Wahlbeisitzer per Los aus der Bevölkerung gekürt. „Das Modell ist insofern positiv“, so der gebürtige Oststeirer, „weil es den Bürgern die Möglichkeit gibt, sie am demokratischen Geschehen teilhaben zu lassen. Es ermöglicht Teilhabe und das Übernehmen von Verantwortung.“ In Österreich existiert in Ansätze eine ähnliche Regelung bei der Auswahl von Schöffen. Eine mögliche Einführung des Schweizer Modells kann nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen: Die Rolle der Parteien im Wahllokal ist nämlich verfassungsmäßig abgesichert.