Corona machte auch diesem Projekt einen Strich durch die Rechnung: Im EU-Parlament wird diese Woche mit einjähriger Verspätung der Startschuss für die Konferenz zur Zukunft Europas fallen. Am Mittwoch werden EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, Parlamentspräsident David Sassoli und der amtierende Ratsvorsitzende, der portugiesische Regierungschef Antonio Costa, eine gemeinsame Erklärung unterzeichnen. Dieser Akt markiert den Startschuss für eine Reform, die tiefgreifende Veränderungen für die Europäische Union zur Folge haben kann - bis zur Neuverhandlung der Verträge.

Die EU solle von einem "Bürgerprojekt zu einem echten Bürgerbeteiligungsprojekt werden", betonte der Vizepräsident des EU-Parlaments und ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas am Montag gegenüber Journalisten. Die Bürger müssten stärker spüren, dass die EU für sie da ist - und man müsse die Lehren aus den Krisen ziehen. Die jüngsten Eurobarometer-Umfragen würden den Reformwillen der EU-Bürger und ihren Wunsch nach einer größeren Beteiligung durch das EU-Parlament untermauern: "Zwei Drittel der Bürger wünschen sich, dass das Parlament in Zukunft eine wichtigere Rolle spielt", so Karas. Das sei ein klarer Auftrag: "Keine Entscheidung ohne Bürgerinnen und Bürger, keine Entscheidung ohne das Parlament." Das umschließe auch die Abschaffung der Einstimmigkeit und eine europäische Volksbefragung zu den Reformen.

Zuwachs bei EU-Zustimmung

Dass es in der Frage nach stärkerer Beteiligung des Parlaments einen signifikanten Zuwachs gebe - allein seit den EU-Wahlen 2019 plus fünf Prozent - sei keine Folge der Pandemie, sondern entspreche einer kontinuierlichen Entwicklung, die 2010 begonnen habe. Karas weiter: "71 Prozent der Bürgerinnen und Bürger befürworten die Union grundsätzlich; 27 Prozent so, wie sie ist, 44 Prozent verlangen dazu aber Reformen." Das sei ein klarer Auftrag für die Zukunftskonferenz. Dass eine stärkere Einbindung der Bevölkerung einhergehen könnte mit einer wachsenden Tendenz zu populistischen Entscheidungen - nach dem Motto: wer am lautesten schreit, setzt sich durch - glaubt Karas nicht: "Salopp gesagt: Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben. Die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen reduziert vielmehr den Nationalpopulismus." Man müsse sich davor nicht fürchten, die Grundstimmung sei positiv.

Die Europäische Union müsse reformiert werden, "damit sie demokratischer und handlungsfähiger wird", erklärte Karas. Die Themen der Konferenz würden auf der Hand liegen: Demokratie, Rolle Europas in der Welt, Soziales und Gesundheit, Handlungsfähigkeit, Innovationen, Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaft, Umwelt und Arbeit. "Die soziale- und gesundheitspolitische Frage, die wir bei Corona so deutlich gesehen haben, muss zum Kernelement in der Debatte zur Zukunft Europas werden - weil die sozialen Spannungen der Gegenwart und der Zukunft die größte Gefahrenpotenziale für den Wert der Demokratie in der Gesellschaft haben."

Ein Jahr Verspätung

Die Konferenz zur Zukunft Europas hätte eigentlich bereits im vergangenen Mai beginnen sollen, die Pandemie machte den Plänen, die sich an die breite Öffentlichkeit richten und auch zahlreiche Veranstaltungen inkludiert haben, einen Strich durch die Rechnung. Über die letzten Monate gab es darüber hinaus noch Streit um die politische Führung. Der Kompromiss sieht nun vor, die Konferenz von einem Dreierteam führen zu lassen. Dieses soll aus EU-Parlamentspräsident Sassoli, Kommissionspräsidentin von der Leyen und dem jeweiligen Staats- oder Regierungschef des Landes mit dem rotierenden EU-Ratsvorsitz bestehen. Dazu kommt noch eine zweite Ebene, ein Exekutivausschuss mit jeweils drei Leuten aus den EU-Institutionen.

Zentral wird in der aktuellen Plenarwoche auch die Debatte über den Coronavirus-Wiederaufbaufonds sein. Die EU-Kommission will über den aktuellen Stand der bisher von den EU-Staaten eingereichten Projekte informieren. Er wünsche sich "mehr Ehrgeiz bei den Projekten zum Abholen der Gelder", so Karas. Bis dato hätten acht EU-Länder noch keine Vorschläge eingereicht, darunter auch Österreich. Die Einreichfrist läuft bis Ende April.