Es klingt ja wunderbar: Der Sprecher des russischen Präsidenten verkündete am Mittwoch, bei den Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew werde derzeit "über eine Neutralität der Ukraine nach dem Vorbild Schwedens oder Österreichs gesprochen". Dieses Neutralitätsmodell könne als "Kompromiss" betrachtet werden. Bei den Gesprächen über einen 15-Punkte-Plan soll es eine Annäherung geben. Zeichnet sich hier tatsächlich ein Schritt zur Beendigung des Krieges ab? Wenn Österreich mit der Neutralität so gut gefahren ist – wäre das dann nicht auch etwas für die Ukrainer?

Zu wünschen wäre es den Menschen, die jetzt seit drei Wochen von einem Bombenalarm zum nächsten zittern, die ihre Angehörigen auf Vermissten- und Totenlisten suchen oder aus zerbombten Wohnhäusern und Spitälern ausgraben. Eine Neutralität würde bedeuten, dass die Ukraine auf ihr in der Verfassung festgeschriebenes Ziel eines Nato-Beitrittes verzichtet. Der Financial Times zufolge sieht der derzeit diskutierte Plan vor, dass Kiew seine Bewaffnung begrenzt und keine ausländischen Militärbasen auf seinem Territorium entstehen – im Gegenzug würde die Ukraine Nato-Sicherheitsgarantien erhalten. Präsident Selenskyi hat zuletzt klar ausgesprochen, dass er sieht, dass ein Beitritt von Nato-Seite nicht gewünscht ist.



Dennoch ist Skepsis angebracht. Kiew hat den Vorschlag zurückgewiesen – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Erstens: Die Ukraine war bereits neutral – das schützte sie nicht davor, nach den Maidan-Protesten 2014 von Russland im Osten überfallen zu werden. Und das, obwohl Russland seit 1991 eine ganze Reihe an Verträgen unterschrieben hat, die beinhalten, dass es die Grenzen der Ukraine respektiert. Man denke etwa an das Budapester Memorandum von 1994.

Die Ukraine, die im Zuge der Auflösung der Sowjetunion in den Besitz von Nuklearwaffen gekommen war und zu dem Zeitpunkt das drittgrößte Atomwaffen-Arsenal der Welt besaß, trat diese damals an Russland ab – Moskau verpflichtete sich, Grenzen und Souveränität der Ukraine zu achten. Dazu kommt die Frage der Paktfähigkeit eines Kreml-Chefs, der vor den Kameras der Weltpresse dem deutschen Kanzler gegenüber versichert, keinen Krieg zu planen – nur um wenige Tage später ukrainische Städte in Schutt und Asche zu legen.

Ukraine als Vasallenstaat Russlands

"Die Neutralität der Ukraine ist kein Kompromiss, sondern die Erfüllung einer russischen Forderung", analysiert denn auch Russland-Experte Gerhard Mangott. "Russland geht es in Wahrheit darum, aus der Ukraine einen Vasallenstaat zu machen", meint auch die Politologin Claudia Major.

Wie stehen also die Chancen der Ukraine, für eine Neutralität Sicherheitsgarantien vom Westen zu erlangen? Beinahe täglich wiederholt US-Präsident Joe Biden gebetsmühlenartig, dass die Nato sich nicht in den Krieg in der Ukraine mit eigenen Truppen einmischen werde, weil dies "den dritten Weltkrieg auslösen" könnte. Man darf davon ausgehen, dass diese Nachricht auch in den Kreml vorgedrungen ist – und auch in Zukunft gilt.

Neben der Neutralitätsfrage gibt es eine ganze Reihe anderer ungeklärter Fragen: Kiew soll nach Wunsch Moskaus anerkennen, dass die Krim jetzt Russland gehört und die zwei ukrainischen Landesteile im Osten "unabhängig" werden – also unter russischer Kontrolle stehen. Kiew will den Abzug der russischen Truppen, seine Souveränität und dann bleibt noch die Frage der Reparationszahlungen.

Ungelöst ist das Grundproblem, das diesem Krieg zugrunde liegt: Putin hat den Angriff auf die Ukraine mit seinen Vorstellungen der Wiederherstellung eines russischen Großreiches begründet – unter Einschluss der Ukraine. Dass er diese Pläne tatsächlich aufgegeben hat, darf man bezweifeln.