Die Titel der spanischen Tageszeitungen sprechen am Tag nach der nationalen Parlaments- und Regierungswahl für sich: "Blockade", "Instabilität", "Unsichere Regierungsbildung", lauten die Überschriften. Nach einer heißen Wahlnacht, die keine klaren Mehrheiten brachte, wachte Spanien am Montag mit einem heftigen politischen Kater auf.

Deutliches Plus kein Grund zur Freude

Die konservative Volkspartei (PP) mit ihrem Spitzenkandidaten Albert Núñez Feijóo (61) siegte zwar nach dem vorläufigen Endergebnis mit 33 Prozent der Stimmen und 136 Mandaten. Deutlich mehr als in der vergangenen Wahl im Jahr 2019, bei der die PP mit 21 Prozent scheiterte. Aber Feijóo kann sich über dieses Resultat nicht freuen, denn es reicht nicht zum Regieren. Zusammen mit der europaskeptischen Rechtsaußenpartei Vox, die von 15 Prozent in 2019 auf nun 12,4 Prozent absackte und nur 33 Mandate holte, kommt das konservative Lager zusammen auf 169 Sitze im Parlament. Doch die absolute Mehrheit im spanischen Parlament liegt bei 176 Sitzen.

Zählt man noch zwei konservative Miniparteien aus der spanischen Region Navarra und von den Kanarischen Inseln zu den Feijóo-Unterstützern hinzu, könnte der konservative Block noch auf 171 Mandate kommen. Doch auch das ist nicht genug, um sich Hoffnung auf das Amt des Regierungschefs machen zu können. Also ein bitterer Sieg Feijóos, der sich noch in eine Niederlage verwandeln könnte. Trotzdem erklärte Feijóo noch in der Nacht zum Montag, dass er nicht aufgeben werde. Und dass er Anspruch auf das Amt des Premiers erheben werde. "Wir haben die Wahl gewonnen", rief Feijóo vor Hunderten jubelnder Anhäger vom Balkon des Parteisitzes in Madrid. Feijóo forderte Sánchez auf, eine konservative Regierung nicht zu blockieren. Er kündigte Gespräche mit allen Parteien an. "Ich werde versuchen, unser Land zu regieren."

Pedro Sanchez mit unerwartet starkem Ergebnis

Der bisherige sozialdemokratische Premier Pedro Sánchez (51), dem die Meinungsforscher große Verluste vorausgesagt hatten, schlug sich unterdessen mit seiner Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) sehr viel besser als erwartet. Der Sozialdemokrat bewies einmal mehr, dass er ein nicht zu unterschätzender politischer Kämpfer ist. Einer, der nicht zum ersten Mal abgeschrieben wurde – und der es dann schaffte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Sánchez errang nun knapp 32 Prozent und 122 Mandate – das ist mehr als er in der vergangenen Wahl 2019 erringen konnte, wo er bei 28 Prozent landete. Er kann sich somit als heimlicher Wahlgewinner fühlen. Und er hat mit diesem Erfolg noch eine Chance, seine Macht zu retten.

Zusammen mit den 31 Mandaten des Linksbündnis Sumar (12,3 Prozent) und mit den Stimmen mehrerer progressiver Regionalparteien aus dem Baskenland und Katalonien könnte er theoretisch auf 172 Mandate kommen – damit hätte das progressive Lager ein Mandat mehr als der konservative Block. Aber auch dem Sánchez-Lager fehlen vier Sitze zur absoluten Mehrheit. Hier könnte sich für Sánchez jedoch ein Ausweg anbieten. Denn den Schlüssel zur Macht in Spanien hat nun ausgerechnet der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont in der Hand. Die Puigdemont-Partei Junts, die nur in Katalonien antrat, holte sieben Abgeordnetenmandate im neuen spanischen Parlament.

Puigdemont als entscheidender Akteur

Der in Brüssel lebende Puigdemont, gegen den ein Haftbefehl der spanischen Justiz vorliegt, kündigte bereits an, dass seine Partei im nationalen Parlament nicht für Sánchez stimmen wird. Doch eine Enthaltung von Junts bei der Wahl des Premiers ist offenbar im Bereich des Möglichen. Aber dies würde einen hohen Preis haben, deutete Junts-Sprecherin Miriam Nogueras in der Wahlnacht an: "Wir werden Sánchez nicht gratis zum Regierungschef machen." Wie dieser Preis aussehen könnte, ist weitgehend klar: Junts will mit der spanischen Regierung ein legales Unabhängigkeitsreferendum vereinbaren. Auch eine Begnadigung Puigdemonts gehört zu den Forderungen. Durchweg Forderungen, die für Sánchez schwerlich zu erfüllen sind.

Ein Unabhängigkeitsreferendum würde gegen die Verfassung verstoßen. Und eine Begnadigung kann er vorerst nicht aussprechen, weil Puigdemont dazu erst einmal verurteilt werden müsste. Die spanische Justiz will dem nach Brüssel geflüchteten Puigdemont den Prozess machen, weil er 2017 versucht hatte, Katalonien illegal von Spanien abzuspalten. Ihm drohen mehrere Jahre Haft. Ende Mai hatte Sánchez nach einer Schlappe in den Kommunal- und Regionalwahlen die nationale Wahl auf den vergangenen Sonntag vorgezogen. Ein Befreiungsschlag, der das Leben seiner Mitte-links-Regierung nun zunächst verlängern könnte.

Allerdings steht es noch in den Sternen, ob Sánchez wirklich gelingen wird, eine neue Regierung zu bilden. Wenn dies im Laufe der nächsten Monate scheitern sollte, drohen dann zum Jahresende schon wieder Neuwahlen. Die Beteiligung der Bürger an dieser Schicksalswahl war übrigens etwas besser als erwartet: Trotz sommerlicher Ferienzeit lag die Beteiligung mit 70,3 Prozent leicht über der Marke von 2019, als 66,2 Prozent der Berechtigten ihre Stimme abgaben.