Im Kosovo, das sich 2008 für unabhängig erklärte und vom Nachbarland Serbien nicht anerkannt wird, leben heute fast zwei Millionen Albaner, im eher ländlich geprägten Norden des Landes an der Grenze zu Serbien rund 50.000 Serben. Mit dem Staat Kosovo, der ehemaligen serbischen Provinz, wollen Letztere nichts zu tun haben.

Wie kam es zum jüngsten Gewaltausbruch?

Hintergrund ist die Wahl albanisch-stämmiger Bürgermeister, nachdem die serbischen Amtsträger auf Geheiß Belgrads im April zurückgetreten waren. Die Zusammenstöße begannen am Freitag. Militante Serben griffen die Kosovo-Sonderpolizei an, die im Ort Zvečan den neu gewählten albanischstämmigen Bürgermeister ins Amt eskortierte. Bereits da gab es Verletzte. Die Nato-geführte Friedenstruppe KFOR, die mit UN-Mandat für Sicherheit sorgen soll, rückte ein, um die Gemeindeämter in Zvečan und zwei weiteren Orten zu schützen.

Was genau passierte dann?

Am Montag hatten sich wieder Serben zu Protesten gegen die neuen Bürgermeister versammelt. Sie verlangten den Abzug der Kosovo-Polizei. Fahrzeuge der Polizei standen noch beim Gemeindeamt. Am Nachmittag hätten sie wegfahren sollen, doch das ließen die Demonstranten nicht zu. Die KFOR-Einheit setzte zur Auflösung der Proteste Tränengas ein. Dann eskalierte die Situation. Serben warfen Blendgranaten und Steine auf die Soldaten und griffen sie mit Schlagstöcken an. 30 Soldaten und etwa 50 Serben wurden verletzt.

Wer sind die militanten Serben?

Schläger aus dem Milieu der Fußballhooligans und Kleinkriminelle. Eingespannt werden sie von lokalen serbischen Politikern und windigen Geschäftsleuten, die wiederum im Interesse Belgrads handeln.

Warum stehen die neuen Bürgermeister im Visier?

Weil sie Albaner sind und aus Wahlen hervorgingen, die die Serben auf Geheiß Belgrads boykottierten. Die Beteiligung lag unter vier Prozent. Die serbischen Amtsträger waren zurückgetreten, weil die Regierung in Priština endlich durchsetzen wollte, dass die Serben im Nordkosovo kosovarische Kfz-Kennzeichen verwenden und keine serbischen.

Was bezweckt Serbien?

Der Kosovo gehörte einst zu Serbien und Jugoslawien. Serbien betrachtet es als mythisches Zentrum des mittelalterlichen serbischen Reichs. Im Gefolge von Jugoslawiens Zerfall intervenierte die Nato 1999 mit Luftangriffen gegen Serbien, um Kriegsverbrechen serbischer Sicherheitskräfte gegen albanische Zivilisten im Kosovo zu stoppen. Das Land kam unter UNO-Verwaltung und erklärte sich 2008 für unabhängig. Serbien erkannte dies nie an und beharrt auf der Rückgabe seiner ehemaligen Provinz. Im Norden des Landes, an der Grenze zu Serbien, befindet sich ein kompaktes serbisches Siedlungsgebiet.

Warum bleiben die Probleme ungelöst?

Die EU und die USA haben seit 1999 viel diplomatische Energie investiert. Die meisten westlichen Länder wie Österreich, Deutschland, Großbritannien und die USA erkannten das Kosovo 2008 sofort an – fünf EU-Länder aber bis heute noch nicht: Spanien, Griechenland, Slowakei, Rumänien und Zypern. Das ist ein Manko für die EU-Diplomatie. Serbien unter Präsident Aleksandar Vučić stützt sich auf Russland, das unter Wladimir Putin schon vor dem Ukraine-Krieg selten eine Gelegenheit ausließ, um dem Westen geopolitisch zu schaden. Experten kritisieren, dass dem Westen eine Strategie fehlt – nicht nur für das Kosovo, sondern für die gesamte Region.

Wie reagierte der Westen auf die jüngsten Ausschreitungen?

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte: "Gewalttaten gegen Bürger, gegen Medien, gegen Strafverfolgungsbehörden und die KFOR-Truppen sind absolut inakzeptabel." Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte die Entsendung weiterer 700 Soldaten an. Bisher sind 3800 KFOR-Soldaten im Kosovo stationiert, auch 273 österreichische Soldatinnen und Soldaten.

Ist das mehr als reine Schadensbegrenzung?

Wohl kaum. Die Signale sind zu widersprüchlich. Borrell und die USA schießen sich auf den Kosovo-Ministerpräsidenten Albin Kurti ein, der mit dem Polizeieinsatz die Unruhen auslöste, aber für die von Belgrad verursachten Blockaden nichts kann. US-Botschafter Jeff Hovenier gab sogar eine "Bestrafung" der Kosovaren bekannt: Sie dürfen nicht am US-Militärmanöver "Defender Europe 2023" teilnehmen. Kurtis Regierung teilt die europäischen Werte, geht gegen Korruption vor. Vučić regiert autoritär, trägt die EU-Sanktionen gegen Russland nicht mit, hat ein EU-vermitteltes Rahmenabkommen mit dem Kosovo vom Februar nie unterzeichnet – und kommt mit "Ermahnungen" davon.

Könnte sich der Kosovo-Konflikt regional ausweiten?

Derzeit nicht, obwohl Vučić wieder einmal die serbischen Streitkräfte in höchste Bereitschaft versetzt hat. Aber Beobachter erwarten nicht, dass der serbische Präsident eine offene Konfrontation mit der Nato im Kosovo wagt. Zugleich dient ihm die Spannung im Süden dazu, die Macht im eigenen Land stabil zu halten – auch im Lichte der jüngsten Massenproteste in Belgrad gegen seine autoritäre Herrschaft.