In der Ostukraine stehen die Zeichen weiter auf Sturm. Die Feuerpause wird von beiden Seiten verletzt, wobei die Gefechte in den Abendstunden etwas nachgelassen haben sollen. In Mitleidenschaft gezogen wurde wiederum die Infrastruktur. Dazu zählten ein Kraftwerk auf ukrainischer Seite im Kreis von Luhansk in der Nähe der Frontlinie. Die Artillerie der prorussischen Separatisten traf die Transformatorstation; der Feuerwehr gelang es viele Stunden nicht, den Brand zu löschen. In Donezk wurde ein Wohnhaus durch Beschuss von ukrainischer Seite schwer beschädigt. Welch dramatische Stunden viele Zivilisten derzeit erleben, zeigt ein Video auf den sozialen Netzwerken. Eine Frau filmte mit ihrem Handy, was es heißt, unmittelbar Augenzeuge von Beschuss zu sein. Um sie herum kracht es, die Frau befürchtet, dass auch ihr Dach getroffen sein könnte.

Die Gefahr einer Ausweitung des Krieges wächst mit jedem Kampftag, befürchtet in Kiew der Politologe Vasyl Filiptschuk: "Stellen Sie sich vor, es gibt den gleichen Beschuss und diese Gefechte nicht zwischen ukrainischen Truppen und Separatisten, sondern mit russischen Truppen. Das wäre sofort ein Kriegsgrund zwischen beiden Ländern. Noch ist nichts Tragisches passiert, doch der Zustand der Nervosität und der Unvorhersehbarkeit bleiben."

Klar ist nunmehr, dass Russland die Separatistengebiete in den Grenzen der ukrainischen Bezirke von Donezk und Luhansk anerkannt hat. Damit ist weiteres Konfliktpotenzial vorhanden, weil der Großteil dieser Landkreise von der Ukraine kontrolliert wird. Denn der Vertrag, den Präsident Wladimir Putin mit den Separatistenführern aus Donezk und Luhansk unterzeichnet hat, enthält nicht nur klare Bestimmungen über die Stationierung russischer Truppen auf den Gebieten der Separatisten, sondern auch eine militärische Beistandsklausel.

Aus russischer Sicht hat dieser Vertrag die formalrechtlichen Voraussetzungen auch für eine Ausdehnung der Kämpfe geschaffen, die geografisch beide Kreise umfassen, aber auch darüber hinaus gehen können.

Zu diesem Gebiet zählt auch die Hafenstadt Mariupol; sie liegt keine zwei Autostunden von Donezk entfernt; bis zur Frontlinie sind es sogar nur etwa 20 Kilometer. Welche Folgen wird Putins Anerkennung für die Ostukraine haben? Darauf antwortet der Student im Gespräch mit mir so: 

Wolodymyr Selenskyj versucht weiterhin, die Lage zu beruhigen, wobei nicht klar ist, ob und wie sehr seine Einschätzung noch der Realität entspricht.

Botschaftspersonal abgezogen

Russland zieht angesichts der sich weiter zuspitzenden Lage in der Ukraine sein Botschaftspersonal aus dem Nachbarland ab. "Für den Schutz ihres Lebens und der Sicherheit, hat die russische Führung die Entscheidung über die Evakuierung des Personals der russischen Auslandsvertretungen in der Ukraine getroffen", teilte das russische Außenministerium am Dienstagabend in Moskau mit. Das solle "in sehr naher Zukunft" umgesetzt werden.

In Mariupol ist jedenfalls nichts von Panik zu bemerken. Es gibt einen Ansturm weder auf die Geschäfte noch auf die Bankomaten. Im Hafen herrscht gähnende Leere; selbst wenn es keinen großen Krieg geben sollte, wird die Ukraine lange unter den wirtschaftlichen Folgen der Krise leiden, doch derzeit stehen die Zeichen leider auf Sturm.