In letzter Sekunde wurde die Route geändert. Statt wie geplant mit einem Direktflug der polnischen Fluglinie LOT von Tokio nach Warschau saß die weißrussische Olympia-Athletin Kristina Timanowskaja am Mittwoch überraschend im AUA-Flug OS52 nach Wien – aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Bekannt wurde später, dass auch mehrere Journalisten den Polen-Flug gebucht hatten, wohl in der Hoffnung, mit der Sportlerin reden zu können.

In Wien wurde die Läuferin, die aus Angst vor Verfolgung in einer spektakulären Aktion am Flughafen Tokio um Asyl in der EU gebeten und das entsprechende Angebot Polens angenommen hatte, von Staatssekretär Magnus Brunner (ÖVP) empfangen. Es kam zu einem Gespräch im VIP-Bereich des Flughafens, die Öffentlichkeit war ausgeschlossen. Der Sportlerin geht es den Umständen entsprechend gut, sie sei müde und natürlich nervös wegen der Ereignisse, fühle sich aber auch in Sicherheit, berichtete Brunner. Während ihres Zwischenaufenthaltes in Österreich wurde Timanowskaja von österreichischen Polizeibeamten geschützt. „Für uns ist oberste Priorität, dass Kristina Timanowskaja jetzt in Sicherheit ist. Das ist das Entscheidende“, äußerte sich Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Ob die Belarussin letztlich in Polen, Österreich oder anderswo Schutz finden werde, „wird sich weisen und hängt auch von ihr ab“, so der Minister. Österreich stehe jedenfalls bereit, ihr zu helfen. In den Abendstunden flog die Sportlerin dann weiter nach Warschau, wo sie auch auf ihren Mann treffen sollte.

Bekannt wurde am Mittwoch, dass mehrere weitere weißrussische Sportler abspringen wollen. Das Mehrkämpfer-Ehepaar Jana Maksimowa und Andrej Krawtschenko, das mit seiner Tochter schon in Deutschland ist, will nicht mehr zurückkehren. Auch ein Handballtrainer ist in die Ukraine geflohen.

In den Fängen des Regimes

Was es heißt, in die Fänge des Regimes zu geraten, berichtet das Künstlerpaar Julia Cimafiejeva und Alhierd Bacharevič, die seit November Gäste der Stadt Graz und der Kulturvermittlung Steiermark sind. Im Rahmen des Literaturstipendiums „Writer in Exile“ sind die beiden bis Ende Dezember und vielleicht Mitte Mai 2022 in der Steiermark.

„Am Montag wurde in einem Haus bei Minsk eine ganz normale Geburtstagsparty von einem Sondereinsatzkommando gestürmt, lauter Bewaffnete. Mein Bruder und seine Frau wurden festgenommen, insgesamt 16 Menschen, fast alle Musiker.“ Offizieller Anlass sei gewesen, dass die Musikgruppe vor einem Jahr bei einer der Protestkundgebungen gespielt habe. Ein Teil der Gruppe sei später gegen Bezahlung einer Geldstrafe freigelassen worden, Julia Cimafiejevas Bruder, seine Frau und drei weitere seien aber nun mit einer Anklage wegen „gewalttätiger Störung der öffentlichen Ordnung“ konfrontiert. Cimafiejeva: „Sie spielen Folk und mittelalterliche Musik, sind auch schon in Österreich aufgetreten – dafür werden sie jetzt mit fünf Jahren Haft bedroht.“

Zehn Tage müsse er nun im Gefängnis bleiben, dann entscheide sich das weitere Schicksal; Kontakt gibt es keinen, auch nicht telefonisch; zu hoffen sei, dass ein Anwalt mit den Inhaftierten sprechen könne. Aber: „Es wandern immer wieder auch Anwälte ins Gefängnis oder verlieren ihre Lizenz.“ Die Behörden würden auch die Daten und Textnachrichten der konfiszierten Mobiltelefone auslesen.

Die große Aufmerksamkeit, die die Flucht von Kristina Timanowskaja weltweit auf sich gezogen hat, sei für die Anliegen der Opposition von großem Nutzen, so das Autorenpaar. Der Sport sei auch ein politischer Faktor: „Die Welt sieht jetzt, welche Bedingungen in Weißrussland herrschen.“

Alhierd Bacharevič ergänzt, Machthaber Alexander Lukaschenko sei immer sehr stolz auf erfolgreiche Sportler gewesen, sie seien auch Teil der Propaganda. Jetzt sei aber klar, worauf das System basiere. Die EU dürfe Lukaschenko nichts mehr glauben oder sich gar Sanktionen gegen falsche Versprechungen abkaufen lassen. Das Regime werde sich wohl noch einige Zeit halten können, vor allem, solange es von Russland unterstützt wird: „Unsere Bitte an den Westen: glauben Sie ihm nichts.“

Weißrussland sehe sich als ein Teil Europas, „das Land ist sehr nahe an Österreich. Wir sind Europäer und fordern europäische Solidarität.“ In Russland, ergänzt Julia Cimafiejeva, gehe gerade Ähnliches vor: „Das betrifft auch die Zukunft Europas.“ Was die Zukunft ihres Heimatlandes betrifft, sind die beiden Autoren eher pessimistisch: „Auf Gewalt, Repression und Unterdrückung kann man kein Land aufbauen, da gibt es ja keine Idee für eine Zukunft.“ Die Grenze sei längst überschritten, Lukaschenko habe jedes Vertrauen der Bevölkerung verspielt: „Das ist ein Krieg des Staates gegen die Menschen.“