Der Wiener Gipfel von 1961 ist unvergessen, obwohl dort in der Sache selbst wenig passiert ist. Heute folgt von G-7 bis EU-Gipfel ein Treffen auf das andere, selten bleibt eines davon in Erinnerung. Woran liegt das?

EMIL BRIX: 1961, im Kalten Krieg, ging es um die nukleare Bedrohung zwischen den zwei Weltmächten USA und Sowjetunion. Deshalb hatten Gipfel eine existenzielle Bedeutung. Wichtig war, wie sich die Psychologie zwischen den zwei Führungsfiguren gestaltete, das machte es auch so spannend. Inzwischen sind Gipfel inflationär geworden. Ein EU-Gipfel lässt sich nicht vergleichen mit der Inszenierung eines Treffens von zwei „Herrschern“ damals. Es gibt das aber schon noch; wir werden es am 16. Juni mit dem Gipfel von Biden und Putin sehen.

Sehen Sie da Parallelen?

Es wird in Genf um offene Fragen im Abrüstungsbereich gehen, die von globaler Bedeutung sind und von nur zwei Personen entschieden werden – die sich noch nicht persönlich gut kennen. Auch Kennedy und Chruschtschow hatten sich erst auf dem Gipfel persönlich kennengelernt. Sie kamen dort dann zu Fehleinschätzungen über einander. Chruschtschows Conclusio, dass Kennedy ein freundlicher Charmeur sei, aber nicht einer, der harte Politik macht, hat sich in der Kuba-Krise ein Jahr später als falsch herausgestellt. Dass wir damals so nah an den Rand einer Katastrophe kamen, hing damit zusammen. Auf amerikanischer Seite hat sich die Erwartung, dass Chruschtschow jemand sei, mit dem man viel leichter umgehen könne, als mit früheren Sowjet-Führern, als nicht richtig erwiesen.



Warum hat für das Treffen Biden – Putin Genf den Zuschlag bekommen und nicht Wien?

Ich denke, dass eher Washington als Moskau gegen Wien als Standort gewesen sein wird, wegen der deutlich verständnisvolleren Politik, die Österreich in den letzten Jahren gegenüber Moskau verfolgt hat. Dazu kommt, dass sich auch die EU als starke Kritikerin der Putin-Regierung erwiesen hat, und da ist ein Ort außerhalb der EU leichter akzeptabel.



Kann es sein, dass aus US-Sicht hier auch die Hochzeit noch nachwirkt?
Das Bild vom Knicks der österreichischen Außenministerin nach dem Tanz mit Wladimir Putin ging damals um die Welt.

Solche Bilder verschwinden nicht, sie bleiben im kollektiven Gedächtnis. Ich habe das auch der früheren Außenministerin einmal persönlich gesagt – was immer passiert, dieses Bild wird künftig eine Rolle spielen.

Wird der Gipfel Donald Trumps mit Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un in Erinnerung bleiben?

Vielleicht die Bilder davon, wie die beiden Staatschefs über die Demarkationslinie hin- und hergewackelt sind. Aber sonst bleibt da nicht viel übrig.



Was den Showeffekt anging, der ja auch 1961 eine Rolle spielte, war das Treffen zwischen den beiden Exzentrikern doch gut.

Generell muss man sagen, dass der Zugang Trumps, durch Tabu-Brüche Dinge neu zu diskutieren, gar nicht so schlecht ist. Nicht, dass Trump damit sonderlich erfolgreich gewesen wäre. Aber der Ansatz, in Konflikten, in denen sich nichts bewegt, einen neuen Zugang zu versuchen, ist vernünftig. Nur hat Trump ja nicht einmal seine eigenen Berater eingebunden. Sein Vorgehen hat mich an einen Gebrauchtwagenhändler erinnert, der möglichst schnell einen Verkaufserfolg haben will, der aber nicht ordentlich vor- und nachbereitet ist.

Wann werden wir einen Gipfel Biden – Xi Jinping sehen?

Das braucht noch Zeit. Auf US- Seite ist man noch nicht bereit, die reale weltpolitische Bedeutung Chinas zu akzeptieren. Und es hat keinen Sinn, unter falschen Voraussetzungen in einen Gipfel zu gehen.

Macht es in einer multipolaren Welt überhaupt noch Sinn, Zweier-Gipfel abzuhalten?

Die Konflikte sind heute tatsächlich viel fragmentierter geworden. Die Weltpolitik hat nicht mehr die Klarheit der Fronten, wie sie im Kalten Krieg bestand. Es müssen neue Wege des Umgangs miteinander entwickelt werden. Wenn wir Stabilität haben wollen, müssen wir Vertrauen zwischen den großen Playern aufbauen – und dafür werden wir weiter Zweier-Gipfel brauchen.

Wird es eines Tages verbindliche Regeln für die neuen Supermächte geben?

Das wäre schön, aber ich glaube es nicht. Die Weltpolitik bleibt eine Anarchie, und sie bleibt von der Macht der Großen abhängig. Da sollten wir uns keine Illusionen machen. So wie das Völkerrecht eigentlich nur ein Versuch ist, darüber hinwegzutäuschen, dass in den internationalen Beziehungen viel Anarchie herrscht und es kaum Sanktionsmöglichkeiten gibt.

Kein gutes Omen für globale Probleme wie den Klimawandel, wo es Zusammenarbeit braucht.

Beim Kampf gegen die Klimakrise bin ich tatsächlich viel optimistischer. Im Kalten Krieg hat die Angst vor der Nuklearkatastrophe Stabilität ermöglicht. Da sind dann doch Regeln vereinbart worden. Ich denke, durch die Angst vor der Klimakrise könnte heute diese Stabilität in einer global essenziellen Herausforderung wieder erreicht werden. Da sind auch die Großen daran interessiert.