Die Beziehungen zwischen Peking und Brüssel sind angespannt. Und auch die Partnerschaft zwischen den USA und der EU ist einer harten Probe ausgesetzt. Deutschlands ehemaliger Außenminister Joschka Fischer (Grüne) zeichnet ein düsteres Bild von Europa. Fischer sprach darüber mit Stefan Lenglinger in der ZiB2.
Die globale Situation habe sich komplett verändert, Rivalität statt Einigkeit, Zoll-Blöcke statt Freihandel. Für Europa sei das aktuell eine schwierige Lage, konstatiert der Ex-Außenminister. Seine Forderung an die aktuellen Politiker: „Wir müssen wettbewerbs- und verteidigungsfähig werden“. Das gelte vor allem für die Europäische Union, die aber in einer schwierigen Position sei. „Europa wird militärische Fragen angehen müssen, die die EU in ihren Institutionen aber nicht klären kann, weil sie dafür nicht erschaffen wurde. Dieser Realität müssen wir uns stellen.“
Europa ist alt, reich und schwach, formulierte es Fischer Anfang des Jahres. Gibt es keine Hoffnung für Europa? „Wir müssen unsere eigene Verteidigungsfähigkeit wieder mehr im Auge haben. Das ist klar.“ Wenn bislang galt, dass die USA die Sicherheit Europas garantieren, dann hat Trump diese Realität verändert. Darauf müsse sich Europa unwiederbringlich einstellen. An Österreich gerichtet sagt Fischer: „Ich würde mich freuen, wenn das auch für Österreich gelte, also wenn wir Europäer mit einer geschlossenen Stimme sprechen würden. Das sollten wir aus der Vergangenheit gelernt haben“.
Abschaffung der Wehrpflicht war Fehler
Selbstkritisch wird Fischer in Bezug auf Fehler in der Vergangenheit. Hat man in den 2000er einen Fehler gemacht, indem man die Abrüstung und die Abschaffung der Wehrpflicht gefordert hat? „Ja, das war ein Fehler“, gibt Fischer zu. Das Wunder Gorbatschow, das Ende des Kalten Krieges habe damals vieles in ein anderes Licht dargestellt. Jetzt sei es an der Zeit, diesen Fehler zu korrigieren.
Auch, weil man nicht entspannt auf das Verhältnis zu den USA blicken könne. Die Zuverlässigkeit der USA sei unter Trump nicht mehr gegeben. In Sicherheitsfragen sei das aber die entscheidende Frage, so der Ex-Außenminister. „Wir müssen uns künftig auf uns selbst verlassen können“, appelliert Fischer. Die Wankelmütigkeit Trumps sei gefährlich. Ein zweigleisiges Denken sei daher in der EU notwendig, mit und ohne Trump.
Fischer warnt vor falsch verstandener Neutralität
Verständnis zeigt Fischer für Österreichs Neutralität aus der historischen Perspektive. „Ich verstehe, warum Österreich daran festhält.“ Gleichzeitig mahnt er aber an, dass Putin, sollte er in der Ukraine erfolgreich sein, dort nicht Halt machen werde. Da nütze einem Land wie Österreich im Zweifelsfall die Neutralität nichts. Österreich werde unter den veränderten Bedingungen „den Begriff Neutralität neu definieren müssen“, fordert Fischer. So könnte Österreich etwa die Beteiligung an einer europäischen Luftabwehr nochmals überdenken. Das Beispiel Ukraine zeige sehr gut, dass Luftabwehr nur gemeinsam funktioniere. Dennoch zeigt sich Fischer zuversichtlich, dass Österreich seine Position finden werde.
Sollte sich auch Deutschland der Gaza-Erklärung anschließen? Hier verweist Fischer auf das historische Erbe Deutschlands, „das Schandmal des Holocaust“, daher habe die Beziehung zu Israel immer noch einen anderen Stellenwert. „Das zwingt unser Land in eine andere Position.“ Jedoch empfindet auch Fischer die Bilder der humanitären Katastrophe aus Gaza als nicht hinnehmbar.