Wie geht es nach dem irischen Nein zum Vertrag von Lissabon jetzt weiter?
BENITA FERRERO-WALDNER: Wir müssen zunächst einmal zuhören. Für mich ist das irische Votum ein echter Rückschlag für den Vertrag von Lissabon. Manche Gründe für die Ablehnung hatten mit dem Vertrag zu tun, viele nicht. Das Wichtigste ist, den Iren jetzt etwas Zeit zu lassen. Sie müssen sich erst selber finden.
Wird die EU Druck auf die Iren ausüben, eine Lösung zu finden?
FERRERO-WALDNER: Wir müssen das irische Referendum respektieren. Umgekehrt haben die Iren gesagt, dass auch sie bereit sind, die anderen Staaten zu respektieren, die den Vertrag bereits ratfiziert haben oder das noch tun wollen. Am Ende werden es die Iren selbst sein, die Lösungsvorschläge machen.
Wie viel Zeit sollte man den Iren geben?
FERRERO-WALDNER: Sicher nicht allzulange, aber genug, damit sich die Iren sammeln können. Übrigens höre ich, dass viele in Irland jetzt schockiert sind und eine gewisse Verwirrung herrscht.
Wie könnte ein Ausweg aus der Krise aussehen?
FERRERO-WALDNER: Ich habe schon einige solcher schwierigen Phasen erlebt. Ich habe erlebt, wie die Dänen im ersten Anlauf den Vertrag von Maastricht abgelehnt haben. Ich habe erlebt, wie die Iren den Vertrag von Nizza verwarfen. Immer hat es geheißen, es geht nicht weiter. Doch es ging noch immer weiter, es muss ja auch. Wir haben riesige Herausforderungen. Denken Sie nur an die Erweiterung. Wie sollen wir da voranschreiten, wenn wir nicht wirklich eine effiziente Europäische Union haben?
Sind Sie für ein zweites Referendum in Irland?
FERRERO-WALDNER: Ich glaube nicht, dass es gut ist, jetzt darüber zu spekulieren, wie eine Lösung für das Problem ausschauen könnte. Alle Iren sind grundsätzlich Pro-Europa und wollen im Endeffekt eine handlungsfähige Union, also auch einen Vertrag, der die Basis dafür ist.
Ist das irische Nein Symptom einer tieferen Vertrauenskrise?
FERRERO-WALDNER: Das glaube ich wirklich nicht. Der Vertrag ist ein komplizierter juristischer Vertrag, wie eben Rechtstexte sind. Er ist nichts anderes als eine Geschäftsgrundlage der sich erweiternden Europäischen Union, eine Gebrauchsanleitung, damit wir handlungsfähiger werden und schneller entscheiden können. Aber es ist nicht einfach, eine Volksabstimmung über so ein Dokument abzuhalten.
Wirft das No der Iren, nicht grundsätzlichere Fragen auf?
FERRERO-WALDNER: Das Grundsätzliche daran ist wohl, dass sowohl die nationalen Regierungen als auch wir von den europäischen Institutionen noch viel mehr in den Dialog mit den einzelnen Bürgern eintreten müssen. Diese müssen sehen, dass ihre Meinung zählt. Das kann nur in Partnerschaft mit den regionalen und lokalen Politikern geschehen, die ja oft den unmittelbarsten Kontakt zu den Bürgern haben. Ich denke da an die Landeshauptleute, die Landtagsabgeordneten oder die Bürgermeister. Aber auch die Sozialpartner sind wichtige Akteure. Europa ist heute sehr global geworden und viele Menschen haben Sorge vor Entwicklungen wie steigenden Preisen oder dem Klimawandel. Da müssen wir gemeinsam klar machen, dass Europa ja nicht die Wurzel der Probleme ist, sondern die Antwort darauf.