Wenn in Hollywood die Handschellen klicken, werden dazu meist recht lässig die Worte „Sie haben das Recht zu schweigen ...“ fallen gelassen.

Nicht nur Filmfans werden den Satz vervollständigen können. Dem Spruch zugrunde liegt das Nemo-tenetur-Prinzip, das im Prozess gegen Manfred Weißensteiner eine große Rolle spielen sollte und auch Jahrzehnte danach für Diskussionen sorgt. Warum? Der Verfahrensrichter hatte der Jury zu verstehen gegeben, dass aus der Beweislage eine bessere Schlussfolgerung gezogen werden könne, wenn der Angeklagte, obwohl er Kenntnisse zu den Ereignissen haben muss, diese verschweigt.

Weißensteiner wurde schuldig gesprochen, man ging in Berufung. Der Richter habe in seiner Anweisung an die Jury geirrt und damit Weißensteiners Recht verletzt. Per Mehrheitsentscheid wurden der Schuldspruch und das Vorgehen des Richters aber letztinstanzlich am High Court bestätigt (Genaueres ist im Podcast zu hören). Später bezeichnete der High Court den Fall zwar als Ausnahme und Besonderheit, dennoch wurde das Urteil nie aufgehoben – auch wenn man in einem ähnlich gelagerten Fall im letzten Jahr das gleiche Vorgehen eines Prozessrichters nicht durchgehen ließ.

Wie sieht das in Österreich aus?

Wäre so ein Vorgehen hier denkbar? „Mir ist kein Fall bekannt, in dem das Schweigen eines Angeklagten zu dessen Nachteil ausgelegt wurde. Allerdings könnte es sich auf den Ausgang eines Prozesses auswirken, wenn jemand ein Verteidigungsmittel, das ihm bekannt ist, nicht nennt“, so Thomas Mühlbacher, Chef der Grazer Staatsanwaltschaft.

Eine Rechtsbelehrung an die Geschworenen wie bei Weißensteiner sei unzulässig. Im Einzelfall könne aber der Umstand, dass ein Angeklagter schweigt, Einfluss auf die freie Beweiswürdigung haben (anders als bei der berechtigten Aussageentschlagung eines Zeugen).
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ermöglicht es Richtern, nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie etwas als bewiesen ansehen, und dabei auch ihre Lebenserfahrung einfließen zu lassen. Ihre Überlegungen müssen sie aber begründen – im Gegensatz zu Geschworenen. Interpretieren diese also das Schweigen als Schuldeingeständnis, bekäme das niemand mit.

Nichts sagen sagt nicht nichts

Gerade vor einer Jury kann nichts zu sagen mehr sagen, als einem Beschuldigten lieb ist. Das sei auch der Grund, warum auf der Anklagebank hierzulande Schweigen oft nicht Gold ist: „Meistens sind Angeklagte bestrebt, den Sachverhalt aus ihrer Sicht darzustellen“, erklärt Mühlbacher. Ob sich nicht zu äußern eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie ist, hänge vom Fall ab.
Wie auch in der Grundrechtsdebatte um Corona-Einschränkungen ist das Selbstbelastungsverbot nicht absolut und muss gegen andere Grundsätze abgewogen werden. Das heißt, in gewissen Situationen muss ein Beschuldigter Beweismittel zur Verfügung stellen. Etwa bei Alkohol- oder Drogendelikten, der Gefährdung anderer durch übertragbare Krankheiten oder Sexualstraftaten. Hier können gegen den Willen des Angeklagten Proben entnommen werden.

Der Weg zur modernen Strafprozessordnung

Seinen Weg in die österreichische Strafprozessordnung fand das Selbstbelastungsverbot Mitte des 19. Jahrhunderts, nach der Erstarkung der Bürgerrechte im Vormärz. Unerträgliche Inquisitionsprozesse (Ankläger und Richter in Personalunion) und Geheimjustiz wurden mit der Einführung der Strafprozessordnung 1850 abgeschafft. Auch wenn Rechte für Angeklagte immer wieder unter Beschuss geraten, sind sie essenziell für eine moderne Justiz. Thomas Mühlbacher: „Das Strafprozessrecht ist ein Seismograf für den Rechtsstaat. Hier sieht man, wie ernst es ein Staat mit den Verfassungsgrundsätzen nimmt.“
David Knes