Nach dem Justizministerium hat am Mittwochabend das Innenministerium den das Innenressort betreffenden Teil des ersten Berichts der Untersuchungskommission zum Terror-Anschlag in der Wiener Innenstadt vom 2. November öffentlich gemacht. Aus nachrichtendienstlichen Gründen allerdings nicht zur Gänze, wie Generalsekretär Helmut Tomac erläuterte. Die veröffentlichten Passagen belegen allerdings eklatante Versäumnisse der Verfassungsschützer im Umgang mit dem späteren Attentäter.

Der Attentäter wurde im Dezember 2019 vorzeitig bedingt aus einer 22-monatigen Haftstrafe wegen terroristischer Vereinigung - er hatte sich in Syrien der radikalislamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) anschließen wollen - entlassen. Bei einer sogenannten Gefährderansprache am 17. Dezember verhielt er sich laut Kommission unkooperativ und wurde daher vom Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) für eine Risikoeinschätzung vorgesehen. Eine solche wurde vom LVT allerdings erst am 11. September 2020 vorgelegt, sie musste obendrein zwei Mal nachgebessert werden und erst am 7. Oktober - knapp vier Wochen vor dem Terror-Anschlag, der vier Passanten das Leben kostete - abgeschlossen. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde der Täter von einem "moderaten Risiko" auf ein "hohes Risiko" hochgestuft. Fazit der Kommission: "Dass eine Erstbewertung fast zehn Monate dauert, erscheint nicht akzeptabel." Seitens des LVT wurde die lange Dauer gegenüber der Untersuchungskommission mit Ressourcenknappheit und Zeitmangel erklärt, was das Gremium unter Vorsitz der Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes einen - sollte der Einwand berechtigt sein - "Organisationsmangel" nennt.

Obwohl deutschen Verfassungsschützern bekannt war, dass sich der Täter Mitte Juli mit deutschen und Schweizer Islamisten mehrfach in der Bundeshauptstadt traf und eine Observation der Gruppe durch heimische Beamte veranlasst wurde, war dem für die operative Gefahrenabwehr in der Bundeshauptstadt zuständigen Wiener LVT die Brisanz dieser Begegnung nicht bewusst. Dabei habe es sich um eine "durchaus als anschlagsbereit eingeschätzte Terror-Zelle"gehandelt", wird in dem 25-seitigen Bericht der Untersuchungskommission betont. Ein einziger LVT-Mitarbeiter sei sich zwar klar gewesen, dass eine "hoch gefährliche Terrorzelle" zusammenkam, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe ihn jedoch "nachdrücklich zum Schweigen verpflichtet", hält die Kommission fest. Das BVT bestreitet diesen Vorgang.

Aus Sicht der Kommission geschlampt wurde auch, als eindeutige Hinweise der slowakischen Behörden gemeldet wurden, dass der 20-Jährige am 21. Juli 2020 versucht hatte, in Bratislava Munition für ein automatisches Sturmgewehr zu kaufen, das er später beim Terror-Anschlag benutzte. Das BVT erhielt am 27. Juli Bilder aus der Überwachungskamera des slowakischen Waffengeschäfts, die jedoch erst am 24. August an das Wiener LVT mit der Bitte um Identifikation des Abgebildeten weitergeleitet wurde. Tags darauf meldete das LVT dem BVT, dass auf den Fotos "augenscheinlich" der "einschlägig bekannte" Kujtim Fejzulai zu sehen sei. Ein LVT-Mitarbeiter erkannte laut Kommission nun eine "bedenkliche Verdichtung von Hinweisen" - seine Anregung, Maßnahmen nach dem Polizeilichen Staatsschutzgesetz zu ergreifen, sei von seinen Vorgesetzten und dem BVT aber nicht aufgegriffen wurde. Letzten Endes wurde der Attentäter aus Sicht des BVT erst am 16. Oktober eindeutig als gescheiterter Munitionskäufer in Bratislava identifiziert.

Reaktionen auf Zwischenbericht

Die Opposition sah sich durch den Zwischenbericht in ihrer Kritik bestätigt. Für SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner macht er deutlich, "dass der verbale Angriff auf die Justiz von Bundeskanzler Kurz und Innenminister Nehammer ein reines Ablenkungsmanöver vom Versagen des Innenministeriums war". Die FPÖ - unter deren Innenminister Herbert Kickl die Razzia des Jahres 2018 stattfand - fühlte sich in ihrer Kritik am BVT bestärkt. "Dieses durch jahrzehntelange tiefschwarze Personalpolitik völlig zerstörte Amt ist offenbar nicht einmal willens und in der Lage, andere Behörden des BMI über brisante Gefahren zu informieren", meinte meinte Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer. Für NEOS-Verteidigungssprecher Douglas Hoyos zeichnet der Bericht ein "vernichtendes Bild vom Zustand der österreichischen Sicherheitsbehörden, allen voran vom Zustand des BVT". NEOS-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper forderte eine "völlige Neuaufstellung" des "von Beginn an von der ÖVP als parteipolitische Spielwiese missbrauchten" Verfassungsschutzes.

"Der erste Zwischenbericht zeigt und belegt, wie wichtig es war die Kommission einzusetzen und die Vorgänge zu untersuchen", reagierte der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, auf den vorgelegten Bericht. Und weiter: "Dem Innenminister, mir und dem Landespolizeipräsidenten Gerhard Pürstl war von Anfang wichtig, dass es volle Aufklärung und Transparenz gibt. Die Ergebnisse werden vor allem für die bereits laufende Reform des Verfassungsschutz einen wesentlichen Beitrag leisten."

Der Generalsekretär im Innenministerium sicherte dem Parlament umfassende Einblicke in die ersten Erkenntnisse der Untersuchungskommission zu, deren Endbericht Ende Jänner vorliegen soll. "Jene Ausschnitte, die nicht veröffentlicht werden können, da ansonsten Ermittlungen gefährdet aber auch die Zusammenarbeit mit Partnerdiensten erschwert würde, werden selbstverständlich dem geheimen Unterausschuss im Parlament zur Verfügung gestellt." Der Zwischenbericht werde im Innenministerium jetzt eingehend studiert, gab Tomac bekannt. Man habe eine eigene Ermittlungsgruppe eingerichtet, "die dienstrechtliche Schritte prüft und danach entsprechende Ableitungen trifft".

Der Justiz hat die Kommission "ein korrektes Handeln" attestiert, stellte Ministerin Alma Zadic (Grüne) fest. Sie hatte diesen Teil des Berichts schon einige Zeit vor dem Innenministerium veröffentlicht, "im Sinne der Transparenz und Aufklärung", wie die Justizministerin in einer Aussendung unterstrich. Die Empfehlungen der Kommission, Deradikalisierungsarbeit für verurteilte Islamisten auszubauen und Fallkonferenzen vor der Entlassung verurteilter Islamisten durchzuführen, habe man im ersten Anti-Terrorpaket bereits aufgegriffen.