Warum er gerade auf den Plan mit der Großglockner-Besteigung kam, weiß Bernhard Kaut heute selbst nicht mehr. „Die Idee war plötzlich da“, erinnert er sich – und das, obwohl er früher zwar sportlich, aber sicher kein Bergsteiger war. Früher: Das war vor seiner Lungentransplantation, vor den zehn Tagen künstlichem Tiefschlaf, vor der schweren Erkrankung, die innerhalb von etwa 17 Monaten aus einem gesunden 43-Jährigen einen schwerkranken Patienten machte, der rund um die Uhr Sauerstoff brauchte und dessen einzige Rettung eine neue Lunge war.
Idiopathische Lungenfibrose lautete die Diagnose, die Kaut im Mai 2021 erhielt, als er sich von einer Corona-Infektion einfach nicht erholte. „Covid-19 war nicht die Ursache der Fibrose, dadurch wurde sie nur erkannt“, stellt Kaut klar. Sein Lungengewebe vernarbte aus bis dato unbekannter Ursache, dadurch verlor die Lunge nach und nach ihre Fähigkeit, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen. Sein Abbau war rapide: Schubweise verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass der Gang ins Badezimmer im ersten Stock zu einem „Tagesausflug“ wurde, wie der Niederösterreicher erzählt, und er Zähneputzen und Duschen nur noch im Sitzen bewältigen konnte. „Ich bekam einfach keine Luft mehr.“
Im August 2021 hatte er das erste Mal einen Termin auf der Transplantationsambulanz am AKH Wien, im Jänner 2022 sollte er auf die Liste gesetzt werden. „Ich habe die Transplantation sofort als einzige Chance erkannt, deshalb habe ich mich auch nicht gefürchtet“, erinnert sich der heute 46-Jährige. Doch bis ihm ein Spenderorgan tatsächlich ein neues Leben schenken sollte, musste Kaut noch einige medizinische Hürden überwinden.
„Wir haben eine Lunge für Sie“
Zunächst war da ein spät diagnostizierter Blinddarmdurchbruch, der die Listung auf der Warteliste für ein Spenderorgan um ein halbes Jahr verzögerte. Im Juli 2022 war es schließlich soweit und Bernhard Kaut, Vater von vier Kindern, stand nun auf der Transplantationsliste. Nur drei Tage nach seiner Listung läutete das Handy, die Stimme aus dem AKH sagte: „Wir haben eine Lunge für Sie.“ Kaut, der mit seinen Töchtern gerade auf dem Spielplatz war, konnte es zunächst gar nicht glauben – doch 20 Minuten später wurde er bereits abgeholt und ins Krankenhaus gebracht.
Seine Prognose für die Transplantation war eigentlich gut – doch es kam alles anders. Er musste nach dem Eingriff in einen zehntägigen künstlichen Tiefschlaf versetzt werden: Mit der neuen Lunge war ein Keim in seinen Körper gelangt, der nun bekämpft werden musste. „In der Zeit verlor ich 17 Kilo Körpergewicht und entwickelte ein sogenanntes Delir“, erzählt Kaut: Er halluzinierte, sprach mit einem Arzt, der gar nicht existierte. Und dann kämpfte Kaut monatelang mit einer Wundheilungsstörung, die dazu führte, dass seine Operationsnarbe nicht abheilte: „Durch eine Infektion war das ganze Gewebe rund um die Narbe zerstört.“ Erst durch die Entfernung einer Rippe und die Verlegung eines Brustmuskels konnte die Infektion besiegt werden.
Keine Sauna, neun Tabletten pro Tag
Die Idee von der Großglocknerbesteigung hatte ihn trotz all der Strapazen nie losgelassen – und dafür begann er zu trainieren. Langsam baute Kaut wieder Kraft und Ausdauer auf. Ein erster großer Etappensieg: Die Teilnahme an den World Transplant Games in Bormio im März 2024. Kaut brachte von den Skibewerben gleich vier Medaillen mit nach Hause. „Die letzten drei Monate vor dem großen Gipfel habe ich viel in den Bergen trainiert – auf der Rax, am Ötscher, im Salzburger Pinzgau, wo ich einen Teil meiner Kindheit verbrachte, ging ich Touren und verbesserte meine Technik“, erzählt Kaut. Ebenso wichtig in der Vorbereitung für die Besteigung von Österreichs höchstem Berg: die Zusammenstellung seines Teams. Roland Winkler, der ärztliche Leiter des Rehazentrums Hochegg sagte sofort zu, als sein Patient Kaut ihn fragte. Eine weitere Ärztin, ein langjähriger Berg-Spezi und zwei erfahrene Bergführer komplettierten das Team. Am 28. Juni 2024, weniger als ein Jahr nach der Lungentransplantation, war es schließlich so weit: Nach einem zweieinhalbstündigen Aufstieg erreichte das Team den Gipfel. „Es war beinahe kitschig: Just in dem Moment riss der Nebel auf und wir hatten eine atemberaubende Fernsicht“, erzählt Kaut. Demut und Dankbarkeit waren seine Gefühle in dem Moment.
Sein alltägliches Leben ist heute natürlich ein anderes: Seine Tage beginnen mit der Einnahme von sieben Tabletten am Morgen, weitere zwei folgen am Abend – um eine Abstoßung des neuen Organs zu verhindern. Die Tablettenzahl hat sich schon stark reduziert, direkt nach der Transplantation waren es noch 15 Tabletten, und das dreimal täglich. „Ich darf nicht in die Sauna, nicht in die Therme oder ins Hallenbad. Auch Bauernhöfe und Ställe muss ich meiden.“ Die Infektionsgefahr sei an diesen Orten zu groß. Als „minimal“ beschreibt er die Einschränkungen, und sagt: „Alles ist besser als auf dem Friedhof zu liegen.“
Auch seine beiden kleinen Töchter, heute sechs und neun Jahre alt, konnten es kaum glauben: Ihr Papa, der sich einst mit letzter Kraft in den ersten Stock schleppte, spaziert nun pfeifend die Stiegen hoch. „Sie kannten mich ja nur noch schwer krank“, sagt Kaut – nun wurde ihnen mit dem neuen Organ ein gesunder Vater geschenkt. Mit seiner Geschichte will Bernhard Kaut vor allem anderen Betroffenen Mut machen und zeigen: Auch nach einer Lungentransplantation ist noch so viel möglich.