Das Herz klopft schneller, man fühlt einen Druck auf der Brust und wirklich gut funktioniert die Konzentration auf die Aufgabe, die man zu lösen hätte auch nicht. Auch Nervosität oder Hektik stellt sich ein. Kein Wunder, wenn die To-do-Liste so lange ist, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. So, oder so ähnlich kann sich Stress anfühlen. Einzelne stressige Phasen sind auch kein Problem für unseren Körper. „Ohne Stress sähe unser Leben sehr trist aus“, sagt Psychiaterin Christa Rados. „Denn die Körperreaktion, wenn wir frisch verliebt sind, ist eigentlich dieselbe, wie wenn wir Angst vor einer Prüfung haben.“
In Stresssituationen geht der Körper in Alarmbereitschaft über, um leistungsfähiger zu sein. „Bestimmte körperliche Prozesse werden in Gang gesetzt: Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt an, auch die Verdauung verändert sich“, erklärt Rados. Dieses Programm läuft immer gleich ab, egal ob der Stress negativ (Distress) oder positiv (Eustress) erlebt wird. Dauern Phasen von negativ erlebtem Stress länger an, kann das gesundheitliche Probleme nach sich ziehen – es können körperliche wie auch psychische Erkrankungen entstehen. Veränderungen im Immunsystem können von Stress ebenso hervorgerufen werden, wie Entzündungen. Dadurch können auch Symptome anderer Erkrankungen, wie etwa Asthma oder Herzkrankheiten, verschlimmert werden. Auch die Psyche leidet, Betroffene sind leichter reizbar, schlafen schlechter, leiden unter Stimmungsschwankungen. Zusätzlich beschleunigt chronischer Stress auch den Alterungsprozess.
Ausgeprägte innere Ruhe und kaum Selbstzweifel
Apropos Alterungsprozess: Die „New England Centenarian Studie“ hat ergeben, dass Stressresistenz ein wesentlicher Faktor in Bezug auf ein langes Leben ist. Im Rahmen dieser Studie, die Menschen untersucht hat, die 100 Jahre oder älter sind, zeigte sich, dass die betagten Studienteilnehmer über eine ausgeprägte innere Ruhe verfügten und auch wenige Selbstzweifel hegten. „Resilienz ist einerseits ganz bestimmt auch Veranlagung“, sagt Expertin Rados. Aber für alle, die mit weniger ausgeprägter innerer Ruhe gesegnet sind, gibt es eine gute Nachricht: Belastbarkeit und Widerstandsfähigkeit gegen Stress kann auch trainiert werden. „Der erste Schritt ist wahrzunehmen, was bei mir passiert, um nicht in so eine Überreaktion hineinzurauschen“, erklärt Rados. „Wenn man den Mechanismus durchschaut, der eine Stressreaktion auslöst, ist das schon die halbe Miete.“
Auslöser können von Person zu Person unterschiedlich sein, häufig hat der Job seine Finger im Spiel, aber auch familiäre Verpflichtungen oder Spannungen. In Studien ist aber gut belegt, dass es bei Frauen andere Faktoren sind, die negativen Stress auslösen, als bei Männern. „Frauen fokussieren eher auf Belastungsfaktoren im zwischenmenschlichen Bereich, Männer fokussieren eher auf Themen wie Hierarchie, Rangordnung oder sportliche Leistung“, sagt die Psychiaterin.
Wie man Stress entschärft
Was kann man also tun, um Stresssituationen zu entschärfen bzw. um besser Entspannung zu finden? Ein Punkt ist die zuvor angesprochene Gelassenheit der 100-Jährigen. „Ein gesunder Selbstwert ist sicher resilienzfördernd, das hängt auch damit zusammen, wie gut man auf seine eigenen Bedürfnisse achten kann.“ Das heißt, lernen Nein zu sagen. Vielleicht mal auf ein Treffen am Abend verzichten, weil man merkt, dass man müde ist und Ruhe braucht. Das gilt zum Beispiel auch für das Wochenende oder den Urlaub. Nicht zu viele Termine ausmachen, rät die Expertin.
„Wir leben in einer Gesellschaft, die ständige Ablenkung bietet.“ Nicht nur Smartphones, auch Computerspiele oder diverse Streamingdienste geben uns vermeintlich die Möglichkeit durch Zeitvertreib mit ihnen abschalten zu können. „Auf Dauer ist das aber kein aktiver Entspannungsprozess, der unser Stresslevel senkt“, erklärt Rados. Auch das ständige Verfolgen von Nachrichten kann stressen. Beim sprichwörtlichen Abschalten hilft, die Zeit ohne Bildschirme zu gestalten. Ein Buch lesen, mit Freunden spazieren gehen, ein neues Kuchenrezept testen. Oder eben: Nichts tun. „Wir haben, glaube ich, im breiten Stil verlernt, nichts zu tun. Wir sollten auch einmal aushalten, einfach in die Luft zu schauen.“ Denn: Langeweile sei eine wichtige Ressource, die uns stärken könne. Sei es durch echte Entspannung oder auch neue Ideen, die aus der Langeweile heraus entstehen.
Und doch kann das Smartphone uns im Alltag helfen, eine kurze Auszeit zu nehmen. Denn die meisten von uns tragen darauf ihre Lieblingsfotos mit sich herum. „Ein Blick auf ein Foto des Kindes, vom Ausflug am letzten Wochenende oder vom letzten Strandtag des Sommers – binnen Zehntelsekunden wechselt mein Fokus auf etwas Schönes“, sagt Rados. Das helfe, den Alltagsstress – zumindest kurz zu durchbrechen.
Ebenso können dies viele kleine Übungen - etwa Atemübungen. Auch die sinnliche Wahrnehmung zu trainieren, verschiebt den Fokus weg vom Stress. „Setzen Sie sich hin und konzentrieren Sie sich auf Ihre fünf Sinne. Wie fühlt sich die Luft in meinem Gesicht an, wie riecht es hier?“ Solche Übungen könne man gut trainieren. „Wenn einem das zur zweiten Natur wird, den Alltag mit diesen Pausen zu durchbrechen, dann lässt sich der Alltagsstress besser bewältigen.“