Frau Becht, Sie spielen in "Plötzlich so still" eine junge Mutter, die ihr Neugeborenes durch plötzlichen Kindstod verliert und aus diesem Schmerz heraus eine fatale Entscheidung trifft: Sie entführt ein anderes Baby. Ein Film als Grenzerfahrung?
FRIEDERIKE BECHT: Das war es auf jeden Fall. Es ist auch einer, der einen ein bisschen im Alltag verfolgt. Als ich dann einmal allein Zuhause war, meine Kinder waren nicht da, da war so eine Stille im Haus und da schwappte dieser Film noch nach. Das ist enorm, worin man sich da als Spieler hineinversetzt, um dieser Realität der Frau nahe zukommen. Das muss man dann auch wieder schön ablegen, die Rolle wie ein Kostüm an- und wieder ausziehen.

Sie selbst haben zwei Kinder. Wir bereitet man sich auf so eine Rolle vor, wie fühlt man sich ein, ohne sich selbst zu verletzen?
Im Vorhinein liest man natürlich das Drehbuch und versucht herauszufinden, was ist das für eine Frau, was ist das Interessante, so eine Person zu spielen. Bei Eva interessant sind die schnellen Brüche und Wechsel: Sie verliert sich ja komplett. Ihre Realität ist ja nicht haltbar, nicht aushaltbar für sie. So flieht sie vor dem, was ist, und nicht bewusst, sondern unterbewusst. Wenn sie dieses fremde Kind findet und in den Arm nimmt, dann ist es gar keine Frage mehr, dass sie mit ihm und dem Einkauf nach Hause fahren muss.

Freut man sich über solche ausdrucksstarken Rollen, weil man als Schauspielerin sein ganzes Können zeigen kann?
Ja, unbedingt, das ist ja eine Figur in einer Extremsituation. Man sieht Eva am Anfang nur kurz, wie sie eigentlich ist: eine starke, aktive, strahlende Frau. Und dann darf man spielen, wie diese Figur vor der Realität davonläuft. Das ist sehr vielfältig, was man da erspielen kann. Wie spielt man, wenn sein Kind morgens nicht mehr atmet? Darauf gibt es auch keine Antwort. Ich habe es zum Glück nie erfahren und will diese Erfahrung auch nicht machen. Auch beim Schauspieler gibt es da manchmal Widerhaken: Unangenehme Situationen, in die man eigentlich gar nicht hinein möchte. Sich dem auszuliefern und zu öffnen, ist total spannend. Ein Reichtum, diese Rolle.

Wie ist es mit Babys zu arbeiten? Derart kleine Kinder sind am Set dann doch unüblich.
Hier sind sie die Hauptdarsteller. Wir hatten erst einmal lange Suche, die richtigen Kinder zu finden. Das mussten Zwillinge sein, damit man mit dem jeweiligen Zwillingspaar arbeiten konnte, um auch einmal auszuweichen, etwa wenn eines der Kinder gerade schläft. Da muss man sich auf die Gegebenheiten einlassen: trinken, Windelwechseln, fertig anziehen, akklimatisieren an das Licht und an uns Spieler. Ihre Eltern hatten vor Ort ein Zimmer und Betreuung am Set. Die waren da ganz gut aufgefangen. Muss man auch, sonst geht das nicht, die waren ja doch fast täglich am Arbeiten mit uns. Nur so geht das, wenn man sie miteinbezieht. Das Tolle ist, dass sich die Anwesenheit der Kinder auf das ganze Team ausgewirkt hat: Es war immer eine ruhige, harmonische Atmosphäre. Es gab fast nie eine angespannte, kratzige Atmosphäre. Auch bei schwierigen Szenen oder Wetterwidrigkeiten wurde gut durchgeatmet und Ruhe bewahrt.

Das könnte ein Model mit Zukunft sein: Keine Dreharbeiten ohne Babys oder Kätzchen.
(lacht) Ja, vielleicht.

Als Schauspielerin sind Sie bekanntlich die Anwältin Ihrer Figur. Haben Sie Verständnis für das Verhalten von Eva?
Ja, ich kann es verstehen, weil ich mich in ihre Lage versetzen kann. Aber auch die Mutter der sie das Kind genommen hatte  und Leute, die sie anklagen, kann ich verstehen. Es ist zum Glück nicht mein Beruf zu richten, sondern Menschen nahe zu kommen und sie nachvollziehbar zu machen. Und natürlich: Ich glaube in so einer Extremsituation, wenn die Stricke reißen, dann kann so einiges passieren. Das sieht man auch an den täglichen Nachrichten.