Was war das nicht für ein Gejammere, das Episode 3 "Die lange Nacht" letzte Woche bei vielen GOT-Fans augelöst hatte: Das Bild wäre viel zu dunkel gewesen. Die Verteidigung von Winterfell wäre taktisch stümperhaft ausgefallen. Die Art und Weise, wie sich Arya Stark an den Nachtkönig herangemacht hatte, wäre unglaubwürdig gewesen usw, usf.

Man muss das Trio David Benioff/D B. Weiss/Miguel Sapochnik vor allzu viel Besserwisserei in Schutz nehmen: Ungeachtet einiger Schwächen war "Die lange Nacht" eine große Stunde Fernsehen. Das Problem war natürlich an anderer Stelle zu suchen: Warum bringt man den "Endgegner", den seit der ersten Episode der ersten Staffel zum ultimativen Bösewicht aufgebauten Nachtkönig, bereits in der viertletzten Folge um die Ecke? Warum erklärt man den Zusehern über Jahre, dass der blutige Zwist und die Kriege zwischen Starks, Lannisters, Greyjoys, Martells, Tyrells, Baratheons, Tullys, Freys und Targaryens eigentlich nur von der wahren Gefahr ablenken? Um sich in den letzten drei Folgen wieder diesen im Grunde unbedeutenden Konflikten zuzuwenden?

Die Produzenten, Showrunner und Drehbuchautoren Benioff/Weiss sind natürlich viel zu fähige Autoren, um sich dieses Konstruktionsfehlers nicht bewusst zu sein. Die letzten drei Folgen müssen nun Aufklärung bringen, wie sie sich da herausmanövrieren. Einen Hinweis auf die weitere Struktur der Serie gab es ja schon. Die Wahl der Regisseure war gewissermaßen ein Spoiler: Miguel Sapochnik ist der Action-Spezialist, der bereits die Folgen "Hardhome" und "Battle of the Bastards" grandios in Szene setzte. Er hat auch "Die lange Nacht" inszeniert und zeichnet auch für die Folge in der nächsten Woche verantwortlich. David Nutter ist dagegen der Mann für die leiseren Töne, für die Dialoge. Die vierte Episode namens "The last of the Starks" ist bereits die dritte Episode der achten Staffel, die von ihm stammt. Es war also in dieser Nacht gar keine actiongeladene Folge zu erwarten. Doch eine, die es in sich hatte.

+++ Achtung, Sie betreten jetzt Spoilerland +++

Episode 4 demonstriert vor allem eines. Krieg ist brutal, aber einfach. Da der Gegner, hier wir. "The last of the Starks" beschäftigt sich nun mit einer Welt, die ungleich komplexer ist. Hier ist kein Schwarz-Weiß zu erleben, sondern mindestens 50 Schattierungen von Grau.

Kit Harrington als Jon Snow/Stark/Targaryen
Kit Harrington als Jon Snow/Stark/Targaryen © HBO

Schon die Siegesfeier (nicht gezeigt wird die größte Aufräumaktion in der Geschichte von Westeros, schließlich hatte man mindestens 100.000 Leichen zu beseitigen) am Beginn der Folge ist sehr viel auf einmal: Saufgelage, Leichenschmaus, Gelegenheit, die Wunden zu lecken. Und die schwelenden Konflikte kündigen sich an. Der Sieg über den Night King steht auf tönernen Füßen. Die Allianz ist brüchig, viele der Verbündeten verfolgen wieder eigene Ziele und Interessen. Da hilft es nichts, dass Jon am Beginn in seiner Trauerrede den Zusammenhalt beschwört. Minutiös verfolgt die Episode die kaum zu kittenden Bruchlinien.

Die Starks mögen Daenerys nicht, Jon und Daenerys ist keine Zukunft beschieden, weil die Umstände es unmöglich machen und auch für Jaime bringt die Liebe zu Brienne nur kurzzeitig Linderung von seinen inneren Kämpfen. Und die Berater der Drachenkönigin Dany beginnen, offen über Verrat zu spekulieren. Tyrion bekommt es langsam mit der Angst vor Daenerys zu tun, Varys erweist sich als Anwalt der Bevölkerung, als kühler Kopf und brillanter Analytiker. Und spricht manch unangenehme Wahrheit aus.

Denn immer stärker wird hervorgehoben, dass Daenerys eine Targaryen im schlechten Sinn sein könnte. Eine Familie, in der sich oft Wahnsinn breit gemacht hat. Und auch Dany, so wird nun suggeriert, könnte den Weg der Tyrannei beschreiten. Gründe werden der Königin geliefert: Die Liebe zu Jon ist unmöglich, die Bewohner von Westeros sind nicht wie jene von Essos ihrem Charme erlegen und dann wird auch noch ihr zweiter Drache getötet und Missandei entführt.

Ein echter GOT-Moment

Die Szene, in der die beiden letzterwähnten Dinge passieren, ist großartig in ihrer Beiläufigkeit: Aus heiterem Himmel geschieht eine unerwartete Tragödie, ein echter GOT-Moment. Die Kräfteverhältnisse sind neu gemischt und Cersei erweist sich als so böse wie nie zuvor. Nachdem sie Missandei habhaft geworden ist, lässt sie diese vor den Augen von Greyworm und Dany ermorden. In ihrem letzten Wort wünscht sich Missandei Rache. Der zwischen Entschlossenheit, Rachsucht und Verzweiflung wechselnde letzte Blick von Emilia Clarke entschädigt für einige darstellerische Mängel, die bei ihr im Lauf der Jahre immer wieder merkbar waren. So wie auch Kit Harrington läuft Clarke in Season 8 zur schauspielerischen Hochform auf.

Wermutstropfen einer Folge voller Überraschungen, schwelender, unüberbrückbarer Konflikte und Konfrontationen, samt vieler starker Charaktermomente und wunderbar geschriebener Dialoge ist eine Szene mit Bronn, Jaime und Tyrion. Da konnte man sich nie entscheiden, ob das für Comic Relief (also "Entlastungshumor") oder für ein zusätzliches Spannungsmoment sorgen wollte. Hätte man diese schwachen vier Minuten herausgeschnitten, die Folge wäre noch besser gewesen.

Fazit: Nach dem Schlachten-Spektakel in Episode 3 zeigt GOT mit der Folge 4 in aller Stille, dass nicht der Kriegslärm das Aufregendste an der Serie ist. Sondern komplexe Figuren, die sich in Allianzen, Loyalitäten, Interessen, Gefühlen und Überzeugungen verstricken und sich allesamt in Situationen befinden, aus denen man sich nicht so leicht mit dem Schwert und frischen Mut herausbefreien kann. Helden sind in Friedenszeiten oft schwerer zu finden, als auf dem Schlachtfeld. Und eine schreckliche Prophezeiung für die letzten beiden Folgen gibt es auch. Als Jon Dany berichtet, dass er seiner Familie die Wahrheit über seine Herkunft schulde, meint sie: "Die Wahrheit wird uns zerstören". Man wird sehen.

Ein paar weitere Beobachtungen

Ein Happy-End gibt es derweil nur für die Free Folk, die sich wieder in den hohen Norden verziehen. Samt Ghost im Schlepptau, verlassen sie die Szenerie, weil sie, ein weiser Entschluss, auf das Game of Thrones der Südländer gern verzichten.

In einer der schönsten Dialoge sprechen Tyrion und Varys über das Geheimnis, dass Jon in Wahrheit Aegon Targaryen ist. Varys: "Wenn es acht Leute wissen, dann ist kein Geheimnis, sondern eine Information." Doch woher weiß es Tyrion eigentlich? Von Jon, Dany, Sansa, Bran, Arya oder Samwell? Wer von denen gibt eine solche Informationen an Tyrion weiter? Und noch wichtiger: Warum?

Jon erzählt das Targaryan-Geheimnis seinen Schwestern. Und bittet um Stillschweigen. Am Ende der Folge weiß es die halbe Besetzung. Ist Jon ein so "geschickter" Stratege wie Ned Stark? Wird sich Neds Schicksal an ihm wiederholen?

Wie schlecht ist der Geheimdienst von Varys? Selbst große Truppenbewegungen wie die der Flotte von Euron bleiben der Targaryan/Stark-Allianz verborgen.

Und: Clegane-Bowl kündigt sich an. Der Hound und Arya machen sich nach Süden auf. Die Konfrontation Hound/Mountain und Arya/Cersei werden sich die Serien-Macher nicht entgehen lassen. So viel Fan-Pleasing muss einfach sein.

Auch lustig: Der Teaser-Trailer für Episode 5. So wenig aussagekräftig war so ein Format noch nie. Es wird praktisch NICHTS verraten.

Game of Thrones läuft auf Sky und ist via Sky und Amazon Prime abrufbar.