Aus Anlass des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers in Mauthausen setzt sich Fritz Dittlbacher, der bis 2018 ORF-Chefredakteur war, mit dem „und jetzt?“ auseinander. Wie ging es mit den Opfern, den Tätern und jenen im großen Graubereich weiter? Und wie lebt es sich heute in einem Ort, der ähnlich wie Auschwitz und Dachau synonym für das Grauen des Holocausts steht? Diesen Leitfragen entsprechend, stehen nicht nur die NS-Verbrechen im Lager und die Befreiung am 5. Mai 1945 im Mittelpunkt der neuen „Menschen & Mächte“-Dokumentation, sondern auch die Wirkung danach: Wie ist Österreich mit Mauthausen umgegangen und wie geht Mauthausen mit sich selbst um?
Zeitgeschichte sei ihm immer am Herzen gelegen, sagt der 57-jährige promovierte Historiker. „Wer sich mit Geschichte beschäftigt, der hat einfach einen anderen Blick auf die Welt. Nicht, weil er vorhersehen kann, was passiert, sondern weil er gut einordnen kann, was passiert ist. Und das ist auch schon was.“ Die Idee, im dokumentarischen Bereich tätig zu werden, kam Dittlbacher, nachdem er ab 2018 nicht mehr Chefredakteur im ORF war. Als die Anfrage von Andreas Novak kam, dem Leiter der ORF-Zeitgeschichte, sagte er zu.
Widersprüchliche Familiengeschichten
Ihm sei es darum gegangen, Möglichkeiten der Identifikation und der Nähe herzustellen, erklärt Dittlbacher: „Man denkt an Dachau, Auschwitz, Mauthausen und sieht im geistigen Auge diese Leichenberge. Tote, wie Holzscheite, wie Zementsackln. Man sieht dieses Grauen und es ist so monströs und riesengroß, dass man automatisch in eine große Distanz dazu geht. Man zwingt sich, sich anzusehen, aber man denkt sich die ganze Zeit, das hat mit mir nichts zu tun, das kann mit mir nichts zu tun haben.“
Eine dieser Geschichten, die Nähe herstellen sollen, ist jene widersprüchliche Geschichte seiner eigenen Familie, die er in die Doku einarbeitet. Die Urgroßmutter des ORF-Mannes überlebte die Internierung im Konzentrationslager. „Meine Urgroßmutter war nicht die reflektierte Nazigegnerin, die aus einem historischen Wissen um Aufklärung und Menschenrechte gegen dieses Unrechtsregime war. Sondern sie war eine dieser Personen, die zwar nicht für die Nazis waren – gut, das waren viele andere auch nicht – die aber durch eine besondere Form des Jähzorns ins KZ gekommen ist. Weil es einem passieren konnte. Und das konnte einem nicht nur passieren, weil man das Pech hatte Jude oder Roma oder Sinti zu sein, sondern auch, wenn man das Pech gehabt hat, nach dem Erzählen von Witzen verraten zu werden.“
Coronakrise und die Sehnsucht nach dem starken Mann
Die Recherchen hätten ihn daran erinnert, erzählt Dittlbacher, dass der Weg in den Nationalsozialismus und in die Shoah einer war, der mit kleineren Schritten begonnen habe. „Dieses Faszinosum des starken Mannes, des raschen Handelns, des Autoritären, dass ist immer noch da. Das merkt man ein wenig jetzt“, verweist er auf strengen Zwangsmaßnahmen gegen die Coronakrise, die von manchen mit Freude begrüßt werden und eine neue Blockwartmentalität an den Tag bringt, wie Dittlbacher beobachtet: „Man muss aufpassen und schauen, dass Demokratie nicht nur die Herrschaft der Mehrheit ist, sondern der Schutz der Minderheit. Wenn wir was aus Mauthausen und einer ordentlichen Beschäftigung mit der Nazizeit lernen können, dann dass auch wir irgendwie damit zu tun hatten und nur das Glück haben, Jahrzehnte später geboren worden zu sein.“
„Gerne wieder“, sagt Dittlbacher zur Frage, ob er sich weitere Doku-Produktionen vorstellen könnte. Zugleich betont er: „Ich bin noch immer mit Leib und Seele ein Aktueller Dienst-Journalist und mir macht die österreichische Innenpolitik noch immer so wahnsinnig Spaß.“