Vor der großen Gala-Premiere zum Jubiläum der Wiener Staatsoper am 25. Mai trafen wir den Dirigenten der Produktion.

Herr Thielemann, was ist eigentlich das Besondere an der Wiener Staatsoper?
CHRISTIAN THIELEMANN: Dass die Wiener Philharmoniker da sitzen, die „Die Frau ohne Schatten“ so oft gespielt haben und die dieses Haus so gut kennen. Auf so einem Klavier können Sie natürlich anders spielen als in anderen Häusern. Und wenn man weiß, was für eine Aufführungstradition man hier hat, freut man sich, Teil davon zu sein. Das schwingt ja immer mit. Der Strauss schaut irgendwie um die Ecke – wie in Dresden. Dort hat man auch das Gefühl, gleich geht die Tür auf und der Strauss kommt herein.

Was fasziniert Sie an dessen „Frau ohne Schatten“?
Die Bandbreite. Strauss hat nie wieder etwas so Weiträumiges gemacht, vom leisesten Leisen bis zum brutalen Ausbruch, den man nur selten anwenden darf, sonst tut’s weh.



Gibt es ein psychologisches Element an dem Stück, das für Sie besonders reizvoll ist?
„Die Frau ohne Schatten“ gehört ja in die „Troubadour“-Sektion, also zu den Opern, die man eigentlich nicht so genau versteht. Da wirft jemand keinen Schatten, soll ihn sich ausborgen von einer anderen, dann gibt es noch eine böse Frau, die das alles macht. Am Schluss ist die tot und der Schatten ist wieder da. Wie Sie das erklären wollen, weiß ich nicht.

War doch schon ganz gut.
Wir sind gewöhnt, dass manche Opern schwer zu erklären sind. Das ist auch nicht so wichtig, es ist ja ein Märchen. Strauss hat uns aber mithilfe seiner irrsinnig farbigen Musik eine Geschichte an die Hand gegeben, der wir folgen können.


Lassen Sie die Kürzungen?
Nein, hier wird zum ersten Mal die gesamte Oper gespielt. Sie ist nur acht oder neun Minuten länger als sonst. Die Sprünge sind wohl praktisch für die Sänger, aber so ist es logischer.

Wie finden Sie die Balance zwischen Kontrolle und Hingabe?
Man balanciert, deshalb ist es ja so eine tolle Aufgabe. Ich muss die Stimmung erreichen und die Genauigkeit. Kapellmeister zu sein ist ein handwerklicher Beruf, wie ein Fliesenleger. Die Fugen müssen stimmen. Sie müssen so viel wie möglich hörbar machen, ohne Gerichtsmediziner zu sein.

Arbeiten Sie bei Ihrer vierten „Frau ohne Schatten“ wieder mit einer unbefleckten Partitur?
Ich arbeite mit der Uraufführungspartitur, die wird immer eingesammelt nach der Probe. Überlegen Sie, wer daraus dirigiert hat! Die hat natürlich Schrunden und Fetzen.

Haben Sie einen Tipp fürs Publikum, wie man sich dem Werk nähern sollte?
Grämen Sie sich nicht darüber, wenn Sie die Geschichte nicht gleich kapieren. Hören Sie zu, dann werden Sie es verstehen. Und wenn möglich, sollten Sie zweimal gehen.

„Die Frau ohne Schatten“von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal (UA 1919 in Wien). Dirigent: Christian Thielemann, Regie: Vincent Huguet. Premiere: 25. 5., Staatsoper Wien. Weitere Aufführungen 30. 5., 2., 6.., 10. 6. Karten: Tel. (01) 513 1 513.
wiener-staatsoper.at