So muss es sich in einem Ameisenhaufen anfühlen: schwindelerregend wuselig. Dienstags, 14.20 Uhr, auf und hinter der Bühne der Wiener Staatsoper: Die vielfach verwendete Phrase „hinter den Kulissen“ wird dem Treiben hier nicht gerecht. Nicht einmal ansatzweise.
Vor wenigen Minuten endete die Bühnenprobe zur Richard-Strauss-Oper„Die Frau ohne Schatten“, die am 25. Mai ihre Premiere feiert. Und schon arbeiten die Bühnenhackler weiter. Testosteron liegt in der Luft. Die Männer ziehen an Seilen, tragen Stahlstangen weg, eine Putzmaschine fegt über den Boden, eine Unterlage wird ausgerollt. Die ganze Bühne wird wie in chirurgischer Präzisionsarbeit freigelegt – auf die Seiten, nach hinten und nach unten. Hubpodien versenken Teile des Bühnenbilds, heben andere empor. Am Abend steht „Macbeth“ auf dem Spielplan. Scheinwerfer gehen an. Ein Rädchen greift hier auf Zuruf ins andere. Die Maschinerie läuft wie geschmiert. Davon werden auch die vielen Grüppchen Touristen, die im Zuschauerraum bei einer Führung einen Blick auf die freigelegte Kulisse eines der bekanntesten Opernhäuser der Welt werfen dürfen, Zeugen.

Hinter den Kulissen der berühmten Wiener Staatsoper
Hinter den Kulissen der berühmten Wiener Staatsoper © Akos Burg


Richard Weinberger steht mittendrin wie ein Fels in der Bühnenbrandung. Dunkelblaues Jackett, schneller Schritt, die Ruhe in Person. Seit 23 Jahren übt der studierte Opernsänger den Beruf des Inspizienten an der renommierten Adresse am Wiener Ring aus. „Ich bin der Dirigent des szenischen Ablaufs“, sagt der 65-Jährige. Hunderte Techniker, Sänger und Musiker dirigiert Weinberger an manchen Abenden.

Das Cockpit


Sein Platz ist (vom Publikum gesehen aus) rechts der Bühne am Inspizientenpult. Im Verborgenen. Die halb offene Schaltzentrale sieht aus wie das in die Jahre gekommene Cockpit eines Raumschiffs. Knöpfe, Tasten, Lämpchen, Mikros und viele Bildschirme. Er gibt die Kommandos für jede einzelne Veränderung auf der Bühne vor. Oder anders gesagt: Es passiert nichts, das der Inspizient nicht anweist. Kein Vorhang geht ohne sein Zeichen auf, kein Bühnenbild wird umgebaut, kein Dirigent hebt den Stab, keine Sänger erscheinen auf der Bühne. „Bei uns werden alle mit Rollennamen angesprochen“, sagt er. Auch die Diven. „Wir sind unserer Tradition verpflichtet.“

Die Kommandozentrale
Die Kommandozentrale © Akos Burg


Wie jedes winzige Detail hier. Nur eines ist neu: Statt Partituren testen die sechs Inspizienten des Hauses iPads aus. „Wir versuchen, die Arbeitsprozesse zu digitalisieren“, sagt der 65-Jährige und zeigt her, wie akribisch jede Aktion notiert ist. Ein falsches Zeichen und die Aufführung stünde still. „Das ist mir noch nicht passiert“, sagt Weinberger. Und ein Lächeln bahnt sich beharrlich seinen Weg in seine Mundwinkel. Auf einem Pickerl, das auf seinem Pult klebt, steht: „Wenn Sie nichts zu tun haben, dann tun Sie das bitte NICHT HIER.“

Arbeitsprozesse hinter der Bühne
Arbeitsprozesse hinter der Bühne © Akos Burg


Bis zu 60 verschiedene Produktionen, 50 Opern und 10 Ballettaufführungen, stehen pro Saison auf dem Programm. Dazu die täglichen Bühnenproben. Ein Mammutprogramm. „In unserem Inspiziententeam muss jeder jedes Stück lernen, können und beherrschen. Was, wenn einer krank werden würde?“, sagt er.

"Ein typischer Quereinsteigerberuf"

Obwohl der Beruf des Inspizienten hinter der Bühne einer der wichtigsten ist, gibt es keine Ausbildung dafür. Weinberger, als Bub Sängerknabe, studierte Operngesang an der Musikhochschule Wien, sang am Theater an der Wien. Bis er dort als Inspizient angeworben wurde und Jahre später von der Staatsoper abgeworben wurde – „es ist ein typischer Quereinsteigerberuf“. Anfangs war er nächtelang auf, um zu lernen. „Ein Opernfan war ich nämlich nicht.“ Eine Oper zu verstehen, sei aber essenziell, um das „Werkl“ nach dem Schlachtruf „Vorhang, auf!“ in Gang zu bringen. Sagt er und schreitet in seine Pause. Am Abend zur Aufführung kommt er wieder. In Anzug. „Denn falls etwas passiert, muss ich an den Bühnenrand treten und das Publikum informieren.“