Die Sex-Vorwürfe gegen den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein beschäftigen nun auch die Polizei in New York und London. Eine eigentlich bereits abgeschlossene Ermittlung gegen Weinstein aus dem Jahr 2004 solle neu aufgerollt werden, sagte eine Sprecherin der New Yorker Polizei am Donnerstag. Es werde untersucht, ob es zusätzliche Beschwerden und Hinweise zu dem Fall gebe. Einzelheiten wollte die Polizei zunächst nicht nennen.

Auch die Polizei in London erwägt britischen Medien zufolge ein Ermittlungsverfahren gegen den Produzenten. Scotland Yard bestätigte, dass die Polizei den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs prüfe, der von den Kollegen in Liverpool weitergeleitet worden sei. Es handle sich um einen Vorfall aus den 80er-Jahren, teilte die Polizei in Liverpool mit. Details veröffentlichte die Polizei jedoch zunächst nicht.

Zuvor wurde bekannt: Die Oscar-Akademie will am Samstag in einer Dringlichkeitssitzung über den Ausschluss von Filmproduzent Harvey Weinstein wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe beraten. Das beschriebene Verhalten Weinsteins sei "widerlich, abscheulich und gegensätzlich zu den hohen Standards der Akademie und der kreativen Gemeinschaft, für die sie steht", zitierte der "Hollywood Reporter" die Academy.

Weinstein ist seit mehr als 20 Jahren Mitglied des mächtigsten Verbands der US-Filmindustrie. Seine mit den Miramax-Studios und der Weinstein Company produzierten Filme wurden von der Academy mit insgesamt 81 Oscars ausgezeichnet. Fünf davon gewannen den Oscar als bester Film, für "Shakespeare in Love" gewann Weinstein persönlich den Oscar als bester Produzent.Der US-Frauenverband NOW rief dazu auf, Weinstein die Mitgliedschaft zu entziehen.

Am Mittwoch hatte bereits der britische Filmverband BAFTA Weinsteins Mitgliedschaft ausgesetzt. Das Filmfestival Cannes, wo Weinstein seit Jahren zu den bekanntesten Gästen zählt, zeigte sich in einer Mitteilung "bestürzt" über die Vorwürfe. Die "New York Times" berichtete unterdessen, dass Mitarbeiter der von Weinstein mitgegründeten Produktionsfirma seit mindestens zwei Jahren von den Vorwürfen gegen den Produzenten wussten. Der Vorstand sei über Einigungen mit drei oder vier Frauen informiert worden, sagte Anwalt David Boies der "New York Times" (Donnerstag) zufolge - er vertrat Weinstein im Jahr 2015. Das Unternehmen hatte die Vorwürfe erst als "totale Überraschung" bezeichnet.

Indes bringt Weinsteins Sturz prominente weibliche Opfer aus der Deckung - aber vereinzelt auch Männer, die erkennen, die Machokultur im US-Entertainment mit gepflegt zu haben. Rund eine Woche waren die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den Hollywoodmogul alt, da sah sich Ben Affleck zu einer Entschuldigung genötigt.

"Ich habe mich unangemessen gegenüber (Hilarie) Burton verhalten und es tut mir aufrichtig leid", twitterte der Schauspieler aus "Batman v Superman". 14 Jahre ist der Zwischenfall in der MTV-Sendung "Total Request Live" (TRL) her, und auf den ersten Blick wirkt er harmlos: Im Interview mit Moderatorin Burton steht der junge Affleck plötzlich auf und legt seinen Arm um ihre Schulter. Tatsächlich habe er dabei aber ihren Busen begrapscht, erklärte Burton in einem Video später. "Ich musste damals lachen, um nicht zu weinen", schrieb sie auf Twitter am Mittwoch. Afflecks Entschuldigung mag ein wichtiger Schritt sein - unter den prominenten Männern Hollywoods bleibt er eine Ausnahme.

Mutige Schauspielerinnen wie Ashley Judd, die Weinstein als erste öffentlich mit den Vorwürfen konfrontierte, und nun auch Gwyneth Paltrow, Angelina Jolie oder Heather Graham, die den Produzenten zu Fall gebracht haben. Doch damit sich die tief verwurzelte Kultur sexuellen Missbrauchs - von anzüglichen Kommentaren gegenüber Frauen bis zur Vergewaltigung - im US-Entertainment wandelt, müssen "Männer vortreten", schreibt das Magazin "Variety": "Wenn Du kein aktiver Teil der Lösung bist, bist Du ein Teil des Problems."

Denn selbst ein Super-Produzent wie Weinstein, dessen Vermögen die britische "Sunday Times" mit seiner (baldigen Ex-)Frau Georgina Chapman auf etwa 217 Millionen Euro schätzte, agiert nicht im luftleeren Raum. Mitarbeiter beschrieben dem "New Yorker" zufolge eine "Kultur der Mittäterschaft an Weinsteins Geschäftsorten". Zahlreiche Kollegen hätten volle Kenntnis von seinem Verhalten gehabt und es entweder "begünstigt oder weggeschaut".

Schweigen zu den Vorwürfen

Beispiel dafür mögen die mehr als 20 männlichen Schauspieler und Regisseure sein, die der britische "Guardian" um eine Reaktion zur Causa Weinstein bat. Sie alle arbeiteten oder arbeiten derzeit mit Weinstein, darunter Quentin Tarantino ("The Hateful 8"), David O. Russell ("Silver Linings") und Michael Moore, der derzeit einen Film über US-Präsident Donald Trump mit Weinstein dreht. Viele von ihnen schweigen zu den Vorwürfen. Einige, darunter Matt Damon und Colin Firth, kamen erst spät oder auf Nachfrage aus der Deckung. Selbst Ben Affleck entschuldigte sich erst, als eine Nutzerin auf Twitter an sein fragwürdiges MTV-Interview von 2003 erinnerte.

Im Showbusiness war Weinsteins Verhalten so bekannt, dass es als offener Running Gag durch die Branche wanderte. "Ich bitte Dich, ich habe Angst vor niemandem im Showbusiness", sagt Jenna (Jane Krakowski) in einer im März 2012 ausgestrahlten Folge der Serie "30 Rock" beim Sender NBC. "Ich habe Geschlechtsverkehr mit Harvey Weinstein nicht weniger als drei Mal abgelehnt. Aus fünf." Die HBO-Serie "Entourage" stellte einen Furcht einflößenden Produzenten namens "Harvey Weingard" vor, der Talenten droht, ihre Karriere zu beenden.

"Family Guy"-Erfinder Seth MacFarlane wagte auf noch größerer Bühne einen Weinstein-Witz, als er 2013 die Oscar-Nominierungen für die beste Nebendarstellerin verkündete: "Glückwunsch, ihr fünf Ladys müsst nicht länger so tun, als wärt ihr von Harvey Weinstein angetan." Das Gelächter im Saal war nicht zu überhören.

Mächtige und prominente Männer, die sexuell übergriffig werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Nach Weinstein, Fernsehmoderator Bill O'Reilly und dem mittlerweile verstorbenen "Fox News"-Chef Roger Ailes dürften weitere Fälle bekannt werden. Stars wie Taylor Swift, die den Po-Grapscher eines Radio-DJs öffentlich machte und ihn dann erfolgreich verklagte, haben den Stein ins Rollen gebracht. Auch der Prozess gegen Entertainer Bill Cosby hat die Debatte beschleunigt.

Doch Übergriffe gegenüber Frauen passieren nicht nur auf "Casting-Sofas und in Hotelzimmern", schreibt die Zeitung "USA Today". Es geschieht jeden Tag, in Restaurants, im Einzelhandel, in der Krankenpflege, in Fabriken und in Büros in den ganzen USA und weltweit. Moderatorin Gretchen Carlson, die Ailes wegen sexueller Belästigung verklagte, schreibt in der "New York Times": "Je mehr Männer ihre Kollegen (und Vorgesetzten!) zur Verantwortung ziehen, desto schneller können wir dieses Verhalten beenden."