Unser letztes großes Interview haben wir im Februar 2020 geführt. Damals haben Sie gesagt: „Ich beschäftige mich viel damit, wie wir auf diesem Planeten unser Zusammenleben gestalten können, wie das ist mit der Verantwortung füreinander.“ Dann kam Corona. Wie hat die Pandemie unser Zusammenleben verändert?
NAVA EBRAHIMI: Das Paradoxe in der Pandemie war ja, dass man Verantwortung für andere übernahm, indem man sich isolierte. Das war ein seltsamer Zustand für mich. Die gegenseitige Unterstützung zwischen den Familien fiel komplett weg. Jeder musste irgendwie allein klarkommen. Es ging ja nicht anders. Aber ich bin ehrlich gesagt ziemlich skeptisch.

Inwiefern?
Bezüglich der Frage, ob die Pandemie unser Bewusstsein gestärkt hat, dass wir füreinander verantwortlich sind. Ob die Solidarität wieder ein Comeback feiert. Daran kann ich nicht glauben. Den ersten Lockdown fanden ja einige sogar schön. Viele Menschen merkten plötzlich, dass es einen Mangel gegeben hat. Einen Mangel an Zeit, an Zusammenhalt, an Rücksichtnahme. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die positiven Erkenntnisse aus der Pandemie nachhaltig sein werden. Vielleicht ist wenigstens das Bewusstsein dafür gestiegen, dass die Globalisierung mit sich gebracht hat, dass nichts mehr weit weg ist, auch Viren nicht, und wir nicht mehr sagen können: Ach, das spielt sich doch in China ab, geht uns nichts an.