Herzliche Gratulation, Sie sind Bachmannpreisträgerin 2021. In unserem letzten Gespräch haben Sie gemeint, dass Sie sich einen Preis erhoffen.
NAVA EBRAHIMI: Na ja, die Wahrscheinlichkeit, dass man irgendeinen Preis gewinnt, ist ja nicht so niedrig. Aber gleich den Preis, also den Bachmannpreis, zu gewinnen, so dreist war ich nicht, mir das zu erwarten. In einem kleinen Winkel meines Kopfes habe ich mir das natürlich schon gewünscht - aber wirklich nicht erwartet. Auch nach der Jurydiskussion habe ich nicht damit gerechnet.

Was bedeutet dieser Preis für Sie?
Zunächst einmal überwiegt noch immer das ungläubige Staunen, dass das wirklich passiert ist. Das hat man mir auch angemerkt, denke ich. Was dieser Preis in der Folge bedeutet, darüber habe ich ehrlich gesagt noch nicht nachgedacht. Als Autorin zweifle ich ja immer an dem, was ich tue. Der große Zweifel steht über jedem Text. Ich werde mich jetzt selbst beobachten, ob dieses Zweifeln weniger wird, wenn man einen so wichtigen Literaturpreis gewonnen hat. Das glaube ich zwar nicht. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass man dadurch ein neues inneres Level erreicht. Der große Zweifel wird also bleiben vermutlich. Aber meine Berechtigung als Autorin - die ja im Lockdown sehr stark gelitten hat - stelle ich jetzt vielleicht nicht mehr so stark infrage.

Also der Preis als Turbo für das Selbstbewusstsein?
Ich weiß nicht, ob Selbstbewusstsein das richtige Wort ist. Aber als Schriftstellerin hat man ja nicht diese äußeren Parameter, die den Beruf manifestieren. Ich arbeite in keinem Bürogebäude, ich habe keine Kollegen. Gut, ich habe meine zwei Bücher, an denen ich mich festhalten kann. Aber ansonsten: Wenn ich nicht schreibe, bin ich eigentlich keine Autorin. Daraus resultiert eben, dass man sich ständig selbst hinterfragt.

Man schreibt gleichsam in ein schwarzes Loch, meinen Sie?
Ja, auf jeden Fall. Es ist immer ein neues Wagnis, ein neues Risiko. Wenn ich jetzt ein neues Buch herausbringe und darauf steht "Bachmannpreisträgerin", dann hat man vermutlich Vorschusslorbeeren. Andererseits schauen dann alle genauer hin auf diese Autorin.

Ihr Gewinnertext heißt "Der Cousin". Es geht darin um das Trauma familiärer Migrationsgeschichten.
Die Erzählerin trifft in New York ihren Cousin, er ist dort erfolgreicher Tänzer. Sie ist Schriftstellerin. Wie erfolgreich, weiß man nicht. Sie wird dann, ohne es zu wissen, Teil einer Inszenierung, in der der Cousin sein traumatisches Fluchterlebnis verarbeitet. Auf einer zweiten Ebene geht es in diesem Text darum, wie man über eigentlich Unerzählbares reden kann - oder schreiben. Und dass Kunst bzw. Kultur der einzige Weg ist, das Unsagbare zu artikulieren.