Für alle, die es derzeit nicht riskieren wollen, nach Venedig zu fahren, ist der neue Roman von Jana Revedin adäquater Ersatz und stimmungsvolle Einladung zu einer Zeitreise in die Serenissima. Anhand der Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau lässt die Autorin die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Lagunenstadt lebendig werden. „Margherita“ war die Großmutter von Revedins Ehemann, dem heutigen Hafendirektor Venedigs, und eine schillernde Figur.

Der venezianische Adelige Antonio Revedin hatte 1920 die junge Zeitungsausträgerin aus Treviso geheiratet und sie in die aristokratische Gesellschaft eingeführt, die sie aber nie als eine der Ihren annahm. Doch Margherita brachte Künstler und Prominente an den Lido, war Mitbegründerin der Filmfestspiele und des Golfplatzes und veranstaltete rauschende Feste. Die schrille Amerikanerin Peggy Guggenheim wurde ihre beste Freundin, Coco Chanel kleidete sie ein. Greta Garbo und Clark Gable, Cole Porter und Francis Poulenc, Pablo Picasso und Aldo Rossi waren zu Gast. Mit ihrem Mann und anderen Unternehmern entwickelte Margherita den Kur-, Kultur- und Naturtourismus der damaligen Zeit.

Mischung aus Fiktion und Fakten

Schon in ihrem Vorgängerbuch, das Jana Revedin zur Bestsellerautorin machte, stand eine mittlerweile in Vergessenheit geratene Frau im Mittelpunkt. „Man nennt mich Frau Bauhaus“ widmete sich der zweiten Ehefrau von Architekt Walter Gropius, der Bauhaus-Mentorin Ise Gropius. Die Mischung aus Fiktion und Fakten in den beiden biografischen Romanen macht den Reiz der Lektüre aus – auch wenn das umfassende Wissen der Autorin zeitweise etwas überbordend ist. Doch der Faktenreichtum ist sorgfältig recherchiert, die Atmosphäre feinsinnig gezeichnet. Das Venedig der 1920er und -30er Jahre wird greifbar, ebenso der aufkeimende Faschismus (durch ein Treffen von Mussolini und Hitler, dem „als Charlie Chaplin geschminkten Malerlehrling“, am Lido). Neben all den historischen Details entwirft die Autorin ein Frauenleben, dem auch Krisen und Ängste nicht fremd sind.
Beim nächsten Venedig-Besuch wird man sich vielleicht erinnern an diese inoffizielle, heute so gut wie vergessene First Lady der Lagunenstadt.